Warum ist das Klima stochastisch?
Ein Klimamodell stellt ein dynamisches System dar, dessen Zustand durch einen Satz von Modellvariablen beschrieben wird. Die zeitliche Entwicklung dieses Zustands kann entweder in Form von Differentialgleichungen oder in Form von Lösungen, die man durch vorwärts Integration dieser Gleichungen erhält, beschrieben werden. Während bei ersterem die „Geschwindigkeit“ der Veränderung der betrachteten Variablen im Vordergrund steht, geht es bei letzterem um die „Position“ der Variablen, die nach einer bestimmten Zeitspanne erreicht wird. Der Klarheit halber wird die Funktion, die die „Geschwindigkeit“ bestimmt, als Differentialkraft F bezeichnet, und die Funktion, die die nach einer Zeitspanne der Länge T erreichte „Position“ bestimmt, als Integralkraft GT. Ob eine Lösung zufällig ist, so dass die „Positionen“ zu zwei Zeitpunkten, die durch ein Zeitintervall der Länge T getrennt sind, unabhängig voneinander sind, wird allein durch die Integralkraft GT bestimmt.
Jin-Song von Storch postuliert, dass die Integralkraft GT Eigenschaften hat, die die Differentialkraft F nicht hat. GT enthält insbesondere eine Dissipation. Diese Dissipation ist durch einen negativen Faktor d gekennzeichnet. Das heißt, dass nur ein Teil der Variablen zum Anfangszeitpunkt t, nämlich (1+d), von der Variablen zu einem späteren Zeitpunkt t+T beibehalten wird. Für ein ausreichend großes T erreicht die Dissipation ihre maximale Stärke, gekennzeichnet durch d = -1. Mit d = -1 „löscht“ die Dissipation in GT die Verbindung der Variablen zum Zeitpunkt t+T mit der Variablen zum Zeitpunkt t vollständig. Die Lösung dieser Variablen an den durch T getrennten Zeitpunkten ist unabhängig voneinander und zufällig. Außerdem ist sie irreversibel, was bedeutet, dass die Variable am vergangenen Zeitpunkt t nicht aus der Variablen am zukünftigen Zeitpunkt t+T gewonnen werden kann. Die Dissipation in GT ist nicht und kann nicht Teil der bekannten Dynamik, die durch F dargestellt wird. Daher kann die Lösung eines dynamischen Systems zufällig sein, trotz der rein deterministischen Natur von F. Jin-Song von Storch überprüft diese Postulate anhand des Lorenz-Modells von 1963, einem Paradebeispiel deterministischer chaotischer Systeme.
Aus physikalischer Sicht lässt sich festhalten, dass Dissipation in GT das Resultat aktiver Wechselwirkungen zwischen Modellvariablen ist, die innerhalb eines Zeitraums der Länge T abgeschlossen wurden. Diese Dissipation existiert ausschließlich in mehrdimensionalen dynamischen Systemen. Die Stärke der Dissipation hängt von der Anzahl der Freiheitsgrade des betrachteten Systems ab, die maßgeblich durch die Anzahl der Gitterpunkte des Klimamodells bestimmt wird. Es muss untersucht werden, ob eine solche Abhängigkeit besteht und wie sich diese auf das von einem Klimamodell mit unterschiedlichen Auflösungen simulierte Klima auswirkt.
Originalveröffentlichung
von Storch, J.-S. (2024) ‘Randomness and Integral Forcing’, Tellus A: Dynamic Meteorology and Oceanography, 76(1), p. 74–89. doi.org/10.16993/tellusa.4065.
Kontakt
Dr. Jin-Song von Storch
Max-Planck-Institut für Meteorologie
jin-song.von.storch@mpimet.mpg.de