Könnte das Abschmelzen einer Schneeball-Erde in den mittleren Breiten begonnen haben?
Geologische Funde deuten darauf hin, dass es in der Vergangenheit der Erde Eiszeiten gab, die so ausgeprägte waren, dass sie zu einer globalen Vergletscherung führten. Dieser Zustand wird als "Schneeball-Erde" bezeichnet. Aber während ein Konsens darüber besteht, dass solche extremen Eiszeiten wiederholt auftraten, wird seit langem darüber diskutiert, ob der Planet eine vollständige Eisdecke aufwies oder ob Teile der Ozeanoberflächen eisfrei geblieben sind. Ein Problem für die Hypothese einer vollständigen Vergletscherung ergibt sich aus der Schwierigkeit zu erklären wie die Erde den Schneeball-Zustand verlassen haben könnte, nachdem sich dieser einmal eingestellt hatte. Das hohe Reflexionsvermögen ihrer Oberfläche hätte verhindert haben können, dass die Schneeball-Erde trotz atmosphärischer CO2-Konzentrationen von bis zu 100 mbar genug Energie absorbieren konnte, um ein terminales Schmelzen einzuleiten. Um ein Auftauen bei plausiblen CO2-Konzentrationen auszulösen, ist eine Oberflächenalbedo von weniger als 0,65 erforderlich, was deutlich niedriger ist als die Albedo von frischem Schnee (Abb. 1).
Um die Prozesse zu untersuchen, welche die Oberflächenalbedo auf einem gefrorenen Planeten bestimmen, statteten die Autoren das Erdsystemmodell des MPI-M mit einem neuen Schnee-Albedo-Schema aus wobei sie anmerkten, dass: "Die Frage, wie die Erde aus einem der extremsten Klimazustände herausgekommen sein könnte, war einfach faszinierend. Deshalb sind wir sehr glücklich, über ein so vielseitiges Werkzeug wie das MPI-ESM zu verfügen, welches es uns nicht nur erlaubt, die mögliche Zukunft der Erde zu betrachten, sondern auch Millionen von Jahren in ihre Vergangenheit zu blicken". Mit ihren Simulationen zeigen die Wissenschaftler, dass hohe Staubablagerungsflüsse das Reflexionsvermögen der Oberfläche ausreichend gesenkt haben könnten, um das Schmelzen der Eisdecke bei plausiblen atmosphärischen CO2-Konzentrationen einzuleiten. Für extreme Staubablagerungsraten – das 10-fache heutiger Flüsse – könnte das Auftauen sogar bei heutigen CO2-Werten eingeleitet worden sein. Im Gegensatz zur vorherrschenden Theorie deuten ihre Ergebnisse jedoch darauf hin, dass das Abschmelzen nicht in den Tropen, sondern in den mittleren Breiten begonnen hätte.
In den Tropen regeneriert ein starker hydrologischer Zyklus ständig frischen Schnee an der Oberfläche, was die Staubansammlung und Schneealterung begrenzt und eine hohe Albedo aufrechterhält. Stattdessen ermöglichen vergleichsweise geringe Niederschlagsraten in den mittleren Breiten in Kombination mit hohen Maximaltemperaturen niedrigere Albedowerte und Schneedynamiken, welche ein Schmelzen bei vergleichsweise niedrigen Kohlendioxidkonzentrationen auslösen. Diese Ergebnisse sind nicht nur für das Verständnis der Erdgeschichte relevant, sondern haben auch Implikationen für andere Sonnensysteme. So ist der äußere Rand der bewohnbaren Zone durch schneeballartige Zustände auf felsigen, wasserreichen Planeten gekennzeichnet. In Abhängigkeit der tektonischen Beschaffenheit des Planeten und seinen vulkanischen CO2-Raten erweitert das Potenzial für eine Entgletscherung in mittleren Breitengraden die äußere Grenze für potentiell lebensfreundliche Planeten.
Originalveröffentlichung:
de Vrese, P., Stacke, T., Caves Rugenstein, J., Goodman, J., & Brovkin, V. (2021) Snowfall-albedo feedbacks could have led to deglaciation of Snowball Earth starting from mid-latitudes. Commun. Earth Environ. Doi: 10.1038/s43247-021-00160-4
Kontakt:
Dr. Philipp de Vrese
Max-Planck-Institut für Meteorologie
Email: philipp.de-vrese@ mpimet.mpg.de
Prof. Victor Brovkin
Max-Planck-Institut für Meteorologie und Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit, Universität Hamburg
Email: victor.brovkin@ mpimet.mpg.de
Dr. Tobias Stacke
Helmholtz-Zentrum Hereon
Email: tobias.stacke@ hereon.de