Die Zukunft der Klimamodellierung — die Kilometerskala

Der Klimawandel stellt die Klimawissenschaft vor neue Fragen, die mit der derzeitigen Generation von Klimamodellen nicht beantwortet werden können.

Es besteht kein Zweifel daran, dass sich die Welt erwärmt — wenn die Erwärmung im derzeitigen Tempo anhält, werden die globalen Durchschnittstemperaturen bis 2035 um etwa 1,5 °C wärmer sein als im späten 19. Jahrhundert. Und wir wissen, dass die Erwärmung zu einem unverhältnismäßig großen Teil auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe durch den Menschen zurückzuführen ist. Was wir nicht wissen, zumindest nicht mit der Genauigkeit, die für diese Erwärmung erforderlich ist, sind ihr voraussichtlicher Verlauf und ihre Auswirkungen auf Menschen und Natur. Die Auswirkungen sind zwar lokal spürbar, beruhen aber oft auf weit entfernten oder eher abstrakten Veränderungen. So können beispielsweise geringfügige Verschiebungen in der Verteilung von Stürmen über dem tropischen Pazifik die Zugbahnen von Winterstürmen über Europa verändern. Ebenso können die Auswirkungen des Klimawandels auf die borealen Wälder die Holzmärkte stark beeinflussen.

Daher stellen vom Menschen verursachte Probleme, wie sie der Klimawandel darstellt, Gesellschaften und Ökosysteme vor neue Herausforderungen. Um sie zu bewältigen, werden die bestmöglichen Informationssysteme benötigt; fortschrittliche Modelle zur Auflösung von Stürmen im Erdsystem, die unter Nutzung modernster Informationstechnologien entwickelt wurden, bieten die Möglichkeit, das Erdsystem auf neue Weise zu untersuchen. Modelle auf der Kilometerskala sind heute in der Lage, die vorübergehende Dynamik wichtiger atmosphärischer Störungen aufzulösen, von einem Schauer aus (hochreichenden) Kumuluswolken bis hin zu einem tropischen Sturm. Das hat einige Forscher dazu veranlasst, sie als sturmauflösende Erdsystemmodelle zu bezeichnen. Diese Modelle sind jedoch in der Lage, viel mehr als nur Stürme aufzulösen, da sie explizit mesoskalige Wirbel im Ozean und die Skalen selbst der kleinsten Wasserscheiden und Biome simulieren können. Sie stellen den Antagonismus zwischen dem Wind und dem topografischen Relief der Erde sowie den steuernden Einfluss der Bathymetrie des Ozeans auf die Wassermassen korrekt dar. Aus diesen Gründen unterscheidet sich diese neue Generation von Klimamodellen qualitativ und strukturell von herkömmlichen hochauflösenden Klimamodellen (z. B. MPI-ESM). Ihr erhöhter physikalischer Gehalt eröffnet nicht nur neue wissenschaftliche Grenzbereiche, sondern spricht auch die wachsende Zahl von Anwendungen an, die nach Klimainformationen dürsten.

Wegweisend mit ICON

Das Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M) ist federführend bei der Entwicklung eines von zwei sturmauflösenden Erdsystemmodellen in Europa, einer Entwicklung, die als ICON-Sapphire bezeichnet wird. ICON bezieht sich auf das Ikosaeder (ICO), das die erste Vorlage für das numerische Gitter darstellt, das speziell zur Optimierung der Rechenressourcen auf einer Kugel entwickelt wurde. Das N in ICON verweist auf die Verwendung der nicht-hydrostatischen Gleichungen, die in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) implementiert wurden. Sapphire, einer von zwei Entwicklungssträngen, die ICON nutzen, verknüpft unser Verständnis der Gesetze, die die Entwicklung der Atmosphäre auf kleinen Skalen bestimmen, mit den großräumigen Veränderungen des Erdklimas.

In Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen des Deutschen Klimarechenzentrums (DKRZ) und der ETH Zürich wurde der ICON-Code optimiert, um moderne Recheninfrastrukturen effizient zu nutzen, wie z. B. den Hochleistungs-GPU-Cluster, der auf „Levante“ am DKRZ in Betrieb genommen wird, wobei GPU für Graphics Processing Units mit ihrer massiv parallelen Architektur steht. Noch leistungsfähigere GPU-basierte Maschinen werden in den führenden europäischen Hochleistungsrechenzentren in Kajaani, Barcelona, Lugano und Jülich in Betrieb genommen.

ICON ist als gemeinsames Projekt des MPI-M und des DWD entstanden und hat sich um weitere Entwicklungspartner am DKRZ, der ETH Zürich und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erweitert. Es umfasst Komponentenmodelle für die Atmosphäre, den Ozean, das Land sowie chemische und biogeochemische Kreisläufe, die alle auf der Basis gemeinsamer Datenstrukturen implementiert sind und dieselbe effiziente technische Infrastruktur nutzen. Als Vorläufer der jetzigen „Sapphire“-Entwicklung wurden diese Komponenten in einem Projekt mit dem Codenamen "Ruby" gekoppelt, das darauf abzielte, zunächst die Funktionalität bestehender Erdsystemmodelle nachzubilden. „Dies war ein anspruchsvolles Unterfangen, das zahlreiche Sensitivitätsexperimente erforderte, die von einem engagierten Team von Wissenschaftler*innen und Programmierer*innen aus allen Abteilungen des MPI-M und den Partnerinstitutionen durchgeführt wurden“, sagt Johann Jungclaus, Wissenschaftler und Gruppenleiter am MPI-M, der diese Arbeiten leitete.

Sapphire wird die im Rahmen des Ruby-Projekts entwickelte Leistungsfähigkeit erweitern, jedoch in der Art, dass wichtige Energietransporte explizit dargestellt werden, die in früheren Modellgenerationen durch statistische Rückschlüsse approximiert werden mussten. Während eine solche explizite Darstellung bei regionalen Klimasimulationen und Wettervorhersagen allmählich gang und gäbe ist, ist das ICON-Sapphire-Projekt eines von nur wenigen weltweit, welches das Klima auf diese Weise global untersucht. Die bisher durchgeführten Experimente haben alle Neuland betreten. ICON wurde beispielsweise 40 Tage lang erfolgreich mit einem Gitterabstand von 2,5 km betrieben und war damit das am feinsten auflösende der neun Modelle, die am ersten Vergleich globaler sturmauflösender Atmosphärenmodelle teilnahmen — ein Glanzstück eines Experiments, das in Anerkennung des von NICAM, dem weltweit ersten globalen sturmauflösenden Modell, verwendeten Gitterrasters als DYAMOND bezeichnet wird. In jüngster Zeit wurden im Rahmen des nextGEMS-Projekts zum ersten Mal mehrere Monate lang globale 2,5 km-Simulationen und mehrere Jahre lang 5 km-Simulationen mit gekoppelten Modellen durchgeführt.

Where the magic happens

Wie Daniel Klocke, Leiter der Gruppe für Recheninfrastruktur und Modellentwicklung am MPI-M, betont: „Mit den sturmauflösenden Modellen sind wir erstmals in der Lage, wesentliche Klimaprozesse auf der Basis physikalischer Gesetzmäßigkeiten und nicht auf der Basis statistischer Rückschlüsse zu simulieren. Dies ist wichtig für das Verständnis der Details des Klimawandels und seiner Auswirkungen. Diese Fähigkeit hat uns und unsere Partner dazu veranlasst, unsere Software-Infrastruktur weiterzuentwickeln, damit wir den neuesten Stand der Rechentechnik nutzen können.“ Diese Bemühungen führen zu neuen Erkenntnissen. Wie Klocke hervorhebt, „zeigen feinere Skalen und die Prozesse, die jetzt mit den neuen Modellen und Computern gelöst werden, unerwartete Auswirkungen auf große Wettersysteme und die allgemeine Zirkulation. Die ersten Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, diese Modelle global anzuwenden, da erst dann die vollen Auswirkungen einer physikalischeren Darstellung der kleinen Skalen deutlich werden.“

Das Sapphire-Projekt am MPI-M stößt weit über das Institut hinaus auf Interesse und trägt dazu bei, neue Kooperationen durch nationale und internationale Projekte wie nextGEMS, WarmWorld, EERIE und DestinE zu schmieden. Diese Projekte helfen anderen Instituten und Wissenschaftler*innen, das Potenzial dieser neuen Generation von Modellen zu nutzen, und tragen dazu bei, ihr Fachwissen bei der Bewältigung der Herausforderungen einzubringen, die sich bei der Arbeit auf diesem Neuland ergeben. Entwicklungen wie Sapphire sind so vielversprechend und gleichzeitig so ressourcenintensiv, dass sie international die besten Köpfe im Rahmen einer kooperativen Entwicklung zusammenbringen müssen, wie sie kürzlich von führenden Wissenschaftler*innen weit über das MPI und das ICON-Entwicklungskonsortium hinaus gefordert wurde (Slingo et al., 2022).

In den nächsten fünf Jahren wird das Hochleistungsrechnen in der Lage sein, Ensembles von Klimasimulationen über mehrere Jahrzehnte und auf räumlichen Skalen von 1 km auf „Exascale-Rechnern“ zu berechnen, wie z. B. der Maschine JUPITER, die in den nächsten zwei Jahren in Jülich in Betrieb gehen soll. Dies wird es der Klimawissenschaft ermöglichen, die Entwicklung des Klimawandels auf eine Art und Weise zu berechnen, die direkter auf physikalischen Gesetze aufbauen und eine bessere Abschätzung der zu erwartenden Auswirkungen der Erwärmung ermöglicht.

Die Erforschung dieses Neulands ist ebenso spannend wie herausfordernd. „Allein die Bewältigung des Outputs solch rechenintensiver Modelle zwingt uns dazu, unseren gesamten Arbeitsablauf komplett zu überdenken“, sagt Theresa Mieslinger, Projektleiterin von nextGEMS und führend dabei, dieses Projekt und sein Engagement für eine europäische Gemeinschaft von Wissenschaftler*innen zu nutzen, um den wissenschaftlichen Arbeitsablauf rund um Exascale-Informationssysteme wie ICON neu zu gestalten. Hendryk Bockelmann, Abteilungsleiter für Anwendung und Wissenschaftliches Rechnen am DKRZ, betont: „Für diese optimale Nutzung muss die Software auf die Rechnerarchitektur zugeschnitten sein. Dies erfordert neue Programmiertechniken und eine stärkere Betonung der Trennung der verschiedenen Belange bei der Entwicklung von Hochleistungscodes, I/O und Datensystemen, um Verflechtungen zu minimieren und die Entwicklung der entsprechenden Expertise zu überlassen.“

Die Herausforderungen sind jedoch nicht nur technischer Natur. Selbst wenn Modelle auf Kilometerskalen laufen, entziehen sich potenziell wichtige Prozesse immer noch einer physikalischen Beschreibung, z. B. die Wechselwirkungen zwischen Wolkenpartikeln, die Darstellung der Landoberfläche oder innerhalb von Eisschilden, Mischungsprozesse, die auf Hundertmeterskalen und feineren Skalen auftreten, und die gesamte Biosphäre. Zu verstehen, wie ungefähre Darstellungen dieser Systeme mit den feinen Skalen verbunden sind, die durch globale sturmauflösende Modelle dargestellt werden, kann der Schlüssel zur Nutzung des Potenzials dieser neuen Technologien sein. Wie Cathy Hohenegger, leitende Wissenschaftlerin am MPI-M und federführend bei der Entwicklung von ICON-Sapphire, betont, „müssen diese Herausforderungen überwunden werden, wenn wir erhoffen, die Unsicherheit physikalisch zu quantifizieren und das Vertrauen in die Projektionen zu erhöhen“. In diesem Zusammenhang werden „die Probleme, die kilometerskalige Modelle nicht lösen, für unser Verständnis genauso interessant wie die, die sie lösen“, meint Bjorn Stevens, Direktor am MPI-M und Leiter des Sapphire-Projekts.

Affinität zu Beobachtungen

Ein Grund, warum das ICON-Sapphire-Entwicklungsteam optimistisch ist, diese neuen Herausforderungen der Erdsystemmodellierung zu meistern, ist die sogenannte „Beobachtungsaffinität“. Im Gegensatz zu statistischen Rückschlüssen können physikalische Modelle direkter mit Beobachtungen verglichen werden. Raphaela Vogel von der Universität Hamburg formuliert dies so: „Im Gegensatz zu herkömmlichen Klimamodellen sind die von sturmauflösenden Modellen dargestellten Größen oder verwendeten Parameter auch Menschen bekannt, die keine Modellierer*innen oder Wissenschaftler*innen sind; oft sind diese Parameter beobachtbar, und dadurch werden Beobachtungen plötzlich noch nützlicher.“ Ein Modell, das in der Lage ist, die lokale Landschaft aufzulösen, ist viel aussagekräftiger, z. B. für die Leistung einer Windturbine oder Sturmfluten im Mündungsgebiet eines großen Flusses. Die Niederschlagsraten aus diesen Modellen sind keine Durchschnittswerte über große wolkenfreie Gebiete mit vereinzelten Schauern (wie bei herkömmlichen Modellen), sondern stimmen mit den Messwerten von Instrumenten überein, wie sie das Institut in seinem Wolkenobservatorium auf Barbados unterhält. Dass dieses Zusammenspiel von gemessenen und modellierten Daten wertvoll ist, spiegelt sich in einer langen Tradition des Downscaling wider („Herunterskalieren“ auf noch kleinere Maßstäbe, nicht nur räumlich und zeitlich, sondern auch in Bezug auf Anwendungen wie Ernte- oder hydrologische Modelle). Für die Anwendung ermöglichen sturmauflösende Modelle ein konsistentes, globales Downscaling.

Aus Sicht der Beobachtung/Messung sind sturmauflösende Modelle, die zwischen Wolken und klarem Himmel unterscheiden können, besser für eine konsistente Anwendung der Datenassimilation geeignet. Ebenso können Fernerkundungsdaten, die Netzwerke von boden-, luft- oder weltraumgestützten Systemen nutzen, sinnvoller mit dem verglichen werden, was das Modell tatsächlich simuliert. So werden beispielsweise die Satellitenmessungen der Doppler-Geschwindigkeiten, die vom bald startenden ESA-Erderforschungssatelliten Earth-CARE durchgeführt werden, auf einer Skala von 10 km erfolgen und somit die beobachteten Wolkenprozesse ähnlich zusammenfassen, wie sie in einem km-Modell dargestellt werden — Informationen, die aufgrund der großen Diskrepanz der Skalen und Prozesse für herkömmliche Klimamodelle praktisch irrelevant wären.

Ausblick

Das MPI-M freut sich auf die neuen Herausforderungen bei der Modellierung des Erdsystems. Das Aufkommen von Exascale-Rechnern und die Notwendigkeit, die Auswirkungen einer sich erwärmenden Welt zu verstehen, verleihen den Bemühungen Dringlichkeit. Das internationale Team, das sich zusammengefunden hat, um ICON als erstes Exascale-Modell der Welt zu entwickeln, ist gespannt auf die Monster, die in dem unbekannten zu erforschenden Gebiet zu finden sind.

Jochem Marotzke, Direktor am MPI-M und koordinierender Leitautor sowohl des fünften als auch des sechsten IPCC-Sachstandsberichts, fasst das Abenteuer zusammen: „Diese Bemühungen sind von zentraler Bedeutung, um unser Verständnis des Klimasystems zu testen, die hohen Risiken der Erwärmung abzuschätzen und der Menschheit zu helfen, die Art von Informationssystemen zu entwickeln, die sie braucht, um unseren Planeten in einer Zeit beispielloser Veränderungen zu steuern.“

Weitere Informationen

Neueste Veröffentlichungen zu sturmauflösenden Modellen:

Slingo, J., P. Bates, P. Bauer, S. Belcher, T. Palmer, G. Stephens, B. Stevens, T. Stocker, G. Teutsch (2022) Ambitious partnership needed for reliable climate prediction. Nature Climate Change. https://doi.org/10.1038/s41558-022-01384-8

Hewitt, H., B. Fox-Kemper, B. Pearson, M. Roberts, D. Klocke (2022) The small scales of the ocean may hold the key to surprises. Nature Climate Change, https://doi.org/10.1038/s41558-022-01386-6

Veröffentlichung zu ICON-ESM:

Jungclaus, J.H.,  S.J. Lorenz, H. Schmidt, V. Brovkin, N. Brüggemann, F. Chegini, T. Crüger, P. De-Vrese, V. Gayler, M.A Giorgetta, O. Gutjahr, H. Haak, S. Hagemann, M. Hanke, T. Ilyina, P. Korn, J. Kröger, L. Linardakis, C. Mehlmann, U. Mikolajewicz, W.A. Müller, J.E.M.S Nabel, D. Notz, H. Pohlmann, D.A. Putrasahan, T. Raddatz, L. Ramme, R. Redler, C.H. Reick, T. Riddick, T. Sam, R. Schneck, R. Schnur, M. Schupfner, J.-S. von Storch, F. Wachsmann, K.-H. Wieners, F. Ziemen, B. Stevens, J. Marotzke, M. Claussen. (2022) The ICON Earth System Model version 1.0.  Journal of Advances in Modeling Earth Systems, 14, e2021MS002813. https://doi.org/10.1029/2021MS002813

Veröffentlichung zu ICON-Sapphire:

Hohenegger, C., et al. (submitted) ICON-Sapphire: simulating the components of the Earth System and their interactions at kilometer and sub kilometer scales. Geoscientific Model Development. https://gmd.copernicus.org/preprints/gmd-2022-171/

Webseite DYAMOND-Initiative

Webseite nextGEMS

Aktuelles-Meldung zu ICON

Kontakte

Dr. Cathy Hohenegger
Max-Planck-Institut für Meteorologie
E-Mail: cathy.hohenegger@we dont want spammpimet.mpg.de

Dr. Daniel Klocke
Max-Planck-Institut für Meteorologie
E-Mail: daniel.klocke@we dont want spammpimet.mpg.de

Prof. Dr. Jochem Marotzke
Max-Planck-Institut für Meteorologie
E-Mail: jochem.marotzke@we dont want spammpimet.mpg.de

Prof. Dr. Bjorn Stevens
Max-Planck-Institut für Meteorologie
E-Mail: bjorn.stevens@we dont want spammpimet.mpg.de