Neuer Blick auf das "Blue Marble"-Foto: ICON simuliert das gekoppelte Klimasystem mit 1 km-Auflösung

Die frühen 1970er Jahre werden oft mit der Entstehung der modernen Umweltbewegung in Verbindung gebracht. Im Jahr 1970 wurde der erste Tag der Erde begangen, und 1971 wurde Greenpeace gegründet. Im März 1972 veröffentlichte der Club of Rome seinen einflussreichen Bericht über die „Grenzen des Wachstums“. Das zunehmende Umweltbewusstsein machte sich auch in der wissenschaftlichen Gemeinschaft bemerkbar. Prof. Reimar Lüst, der im Juni 1972 zum Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft ernannt wurde, setzte sich für die Gründung eines neuen Instituts zur Bearbeitung des „Klimaproblems“ ein. Dies führte 1975 zur Gründung unseres Instituts, des Max-Planck-Instituts für Meteorologie (MPI-M), unter der Leitung von Prof. Klaus Hasselmann. Dieser erhielt später den Nobelpreis für Physik für seine Arbeit am Institut zum Nachweis des menschlichen Fingerabdrucks in der globalen Erwärmung.

Ein unbestreitbar einflussreicher Moment in dieser frühen Geschichte des wachsenden Umweltbewusstseins, der zu vielen der nachfolgenden Ereignisse führte, war das berühmte Foto einer vollständig beleuchteten Erde, das am 7. Dezember 1972 um 10:39 UTC von Astronauten auf dem Weg zum Mond an Bord von Apollo 17 aufgenommen wurde. Apollo 17 war die letzte Mondmission mit Besatzung, und ihr vielleicht größtes Vermächtnis ist dieses Foto, die so genannte Blue Marble (dt. blaue Murmel). Der Fotografie wird oft zugeschrieben, dass sie ein wachsendes globales Bewusstsein für Fragen des Friedens, der Solidarität, der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes fördert. Die Bedeutung des Bildes, das Wikipedia als „eines der am häufigsten reproduzierten Bilder der Geschichte“ bezeichnet, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.  

Während wir über die Ursprünge unseres Instituts nachdachten, wurden wir an diese Ereignisse erinnert, insbesondere an den bevorstehenden fünfzigsten Jahrestag des Blue Marble-Fotos. Wir waren erstaunt, wie sehr ein Bild die Menschen dazu bewegen kann, die Welt und ihren eigenen Platz darin auf neue Weise zu sehen – und was dies für unsere erst kürzlich erworbene Fähigkeit bedeutet, solche Bilder aus dem Schmelztiegel der physikalischen Gesetze zu erstellen. Anfang Oktober 2022 gelang unserem Institut die erste Demonstration der Fähigkeit, das vollständig gekoppelte Klimasystem auf der Skala von einem Kilometer zu simulieren. Prozesse, die durch Simulationen im Kilometermaßstab aufgelöst werden können, gelten als grundlegend für das Verständnis, wie die globale Erwärmung das Klima der Erde verändert. Der Nachweis der Fähigkeit, die Erde in dem für eine zuverlässigere Projektion erforderlichen Maßstab zu simulieren, wenn auch nur für ein paar simulierte Tage, war ein großer Erfolg.

Um diese Leistung und die Wichtigkeit zu feiern, die mit der Visualisierung dessen, was wir sind und wohin wir gehen, einhergeht, hat sich das MPI-M mit NVIDIA und dem Deutschen Klimarechenzentrum zusammengetan, um das ikonische Blue Marble-Foto zu simulieren. Hierfür haben wir die Simulationen mit einem eingeschwungenen Ozean starten lassen, zwei Tage vor dem berühmten Foto. Im Grunde genommen haben wir, fünfzig Jahre zu spät, eine Zwei-Tages-Vorhersage des Bildes erstellt, das die Astronauten dann aufnehmen würden. Doch anders als die oberflächliche Schönheit des Sonnenlichts, das von unserer Erde in das Kameraobjektiv des Astronauten reflektiert wird, wird unsere Blue Marble durch die Gesetze der Physik zusammengehalten, die sie zum Leben erwecken und in Bewegung versetzen. Auf diese Weise erkennen wir das Muster der Oberflächenwinde hinter den Wolkenfeldern, die feinen Ströme aus warmem Wasser, die sich entlang der Südostküste Afrikas nach Süden ausdehnen, oder aus kaltem Wasser, das vor der Südwestküste aus der Tiefe heraufgezogen wird. Ozeanwirbel, wie sie zu dieser Zeit bestanden haben könnten, werden durch die Retroflexion des Agulhasstroms in den Atlantik ausgelöst. Die Simulationen ermöglichen es uns, in die Tiefe zu tauchen, um Wirbel weit unter der Wasseroberfläche zu untersuchen, oder mit konvektiven Strömungen aufzusteigen, die dem Lauf der Sonne über die Landoberfläche folgen.

Seit dem Jahr 1972 haben wir viel erreicht. Aber jetzt liegen die Instrumente, die wir brauchen, um die Auswirkungen der globalen Erwärmung zu verstehen, in greifbarer Nähe. Dies begründet den zunehmenden Ruf nach koordinierten Anstrengungen, um die Vorteile der Technologien zu nutzen, die diese Simulationen aufzeigen. Nur so können die bestmöglichen Simulationen des Klimasystems erstellt werden, kann besser vorausgesehen werden, was die Zukunft bringen könnte, und durch die Zusammenarbeit das globale Bewusstsein gestärkt werden, das für ein wirksames Management unseres Planeten erforderlich sein wird.

Apollo 17 Blue Marble simulated with the ICON climate model at 1 km resolution

Anmerkungen zur Simulation und Visualisierung:

Die Simulationen bilden den Abschluss von zwei Jahrzehnten Arbeit und Entwicklung des gekoppelten Atmosphären-, Ozean- und Landklimamodells, das als ICON bekannt ist. Unter der Verwendung der neuesten ICON-2.6.6-rc Version mit einer Auflösung von R02B11 (1 km), 90 Niveaus in der Atmosphäre (335544320 Gitterpunkte pro Niveau) und 128 Schichten im Ozean (237102291 Oberflächengitterpunkte) wurden die Simulationen durchgeführt. Wir verwenden JSBACH-lite als Landmodell und Beobachtungsdaten von Aerosol- und Treibhausgaskonzentrationen aus dem Dezember 1972. Für die Atmosphäre wird ein Zeitschritt von 8s und für den Ozean von 45s verwendet. Wir haben die Simulation auf 900 Rechenknoten des Supercomputers Levante (128 AMD EPYC Milan CPU Rechenkerne pro Knoten) am DKRZ durchgeführt und eine Aufteilung von 24:8 (atm:oce) mpi-Tasks pro Rechenknoten mit 4 openMP-Threads verwendet. Insgesamt erreichen wir mit diesen 900 Rechenknoten (etwa 1/3 von Levante) einen Durchsatz von etwa 3 simulierten Tagen pro Tag.

Der Ozean wurde am 01.01.1969 von ORAs5 initialisiert, und fast vier Jahre lang (bis zum 01.11.1972) wurde nur der Ozean mit einer Auflösung von 5km gerechnet. Am Oberrand wurde der Ozean mit ERA5-Daten angetrieben. Dann interpolierten wir den Ozeanzustand auf das 1-km-Gitter und ließen den Ozean für weitere 5 Wochen laufen, bis zum 05.12.1972 00 UTC, wiederum mit ERA5-Antrieb an der Ozeanoberfläche. Dann haben wir das Modell gekoppelt und die Atmosphäre aus der ERA5-Reanalyse am 05.12.1972 00 UTC initialisiert und das gekoppelte System bis zum 08.12.1972 12 UTC laufen lassen. Es ist bemerkenswert, dass wir die Bedingungen des Blue Marble-Fotos so gut wiedergegeben haben, da zu dieser Zeit nur sehr wenige Beobachtungsdaten in die Reanalyse einflossen, insbesondere für die südliche Hemisphäre, die wir betrachten.

Die Daten werden mithilfe von NVIDIA Omniverse visualisiert und mit dem integrierten RTX Pathtracer gerendert. Als Vorverarbeitungsschritte wurden mit Python und ParaView Texturen in einer Auflösung von bis zu 32k x 16k Punkten aus dem Simulationsdaten erstellt. Für die Darstellung der Blue Marble verwenden wir eine Erdkarte der NASA visible Earth-Datenbank und heben die Oberfläche hervor, indem wir eine Referenzkarte verwenden, die auch die Oberflächengeschwindigkeit des Ozeans einbezieht, die als Wirbel, die sich im Sonnenlicht spiegeln, beobachtet werden können. Das Rendering und die Verwendung von Texturen ermöglichen es uns, die Daten nahezu interaktiv zu visualisieren und auch die Zeitschritte in Echtzeit zu durchlaufen.

Die Entwicklung von ICON war und ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Max-Planck-Institut für Meteorologie und dem Deutschen Wetterdienst. Seit Kurzem beteiligen sich das Deutsche Klimarechenzentrum, das ETH Center for Climate System Science und das Karlsruher Institut für Technologie an der Entwicklung von ICON. Dies verdeutlicht, dass wichtige Meilensteine die koordinierten Bemühungen vieler, in unserem Fall Hunderter von Wissenschaftler*innen und Technolog*innen über Jahre hinweg erfordern.

Das Team, das diese spezielle Simulation – die virtuelle Blue Marble – durchgeführt hat, bestand aus Hendryk Bockelmann (DKRZ), Niklas Röber (NVIDIA), Helmuth Haak, Daniel Klocke, René Redler und Bjorn Stevens (MPI-M). Wertvolle Unterstützung wurde durch die europäischen und deutschen Projekte nextGEMS, WarmWorld und ESIWACE geleistet.

Weitere Informationen:

Kontakt:

Dr. Hendryk Bockelmann
Deutsches Klimarechenzentrum, DKRZ
E-Mail: bockelmann@we dont want spamdkrz.de

Dr. Niklas Röber
NVIDIA
E-Mail: nroeber@we dont want spamnvidia.com

Prof. Bjorn Stevens
Max-Planck-Institut für Meteorologie
E-Mail: bjorn.stevens@we dont want spammpimet.mpg.de