Neue Studie: Strahlungsantrieb durch Aerosole geringer und weniger unsicher

Die neue Studie "Rethinking the lower bound on aerosol forcing" im Journal of Climate von Prof. Bjorn Stevens, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M) und Leiter der Abteilung "Atmosphäre im Erdsystem", führt eine Anzahl von Argumenten auf, warum der Abkühlungseffekt durch Aerosole weder so stark noch so unsicher ist wie zuvor gedacht.

Eine Störung der Zusammensetzung der Erdatmosphäre kann in Zahlen durch eine Störung der Strahlungsbilanz am oberen Atmosphärenrand ausgedrückt werden ("Strahlungsantrieb", Glossar siehe unten). Der Strahlungsantrieb ist eine Antriebskraft für den Klimawandel; man erwartet, dass sich bei kleinen Störungen die global gemittelte Lufttemperatur am Boden proportional zu diesem Antrieb ändert. Aerosole in der Atmosphäre tragen zum Strahlungsantrieb bei; mehr Aerosole reflektieren typischerweise mehr von der einfallenden Sonnenstrahlung ins All zurück und kühlen die Oberfläche. Als man in den frühen 1990er Jahren anfing, diesen Effekt quantitativ zu betrachten, ging man von -2.3 W/m2 aus, was den Erwärmungseffekt durch Treibhausgase zu der Zeit stark ausgeglichen hätte. Im Laufe der Zeit deutete die Forschung auf einen geringeren Wert des Aerosolantriebs hin, es brauchte aber eine Weile, den sehr starken Abkühlungseffekt durch Aerosole auszuschließen. Zum Beispiel geht der 5. Sachstandsbericht des IPCC (AR5), an dem Bjorn Stevens als Mitverfasser beteiligt war, von einem Antrieb von -0.9 W/m2 mit einer relativ großen Unsicherheit (‐0.1 und ‐1.9 W/m2) aus. Ein Aerosolantrieb von ‐1.9 W/m2 würde einen großen Teil des Antriebs von steigenden Treibhausgaskonzentrationen ausgleichen und den Nettostrahlungsantrieb der Beobachtungsdaten herabsetzen. Betrachtet man den seit Beginn der Industrialisierung beobachteten Temperaturanstieg dann bedeutet ein so großer Aerosolantrieb, dass das Erdsystem extrem empfindlich gegenüber dem Strahlungsantrieb ist, und dass Bemühungen zur Verbesserung der Luftqualität durch Verminderung von Aerosolen die Erwärmung noch verschärfen könnten.

Die größten Unsicherheiten im Aerosolantrieb rühren daher, dass noch nicht gut verstanden wird wie Wolken auf Aerosolstörungen reagieren. Die Abschätzung des Antriebswerts mit umfassenden Klimamodellen ist sehr schwierig und kontrovers, da die Aerosolprozesse sehr komplex und kleinskalig sind, einschließlich jener im Zusammenhang mit Wolken, sodass sie mit großskaligen Modellen nicht aufgelöst werden können. Um diese Schwierigkeit zu umgehen, kombiniert Bjorn Stevens eine neue Analyse von Beobachtungen des Energiehaushalts der Erde über das letzte Jahrzehnt und von Temperaturbeobachtungen (insbesondere in der Zeit vor 1950) mit physikalischen Beweisführungen und Erkenntnissen aus umfassenden Modellen, um Argumente für eine erheblich kleinere Abkühlung durch Aerosole aufzuzeigen.

Die zentrale Idee in Bjorn Stevens' Studie ist, dass ein unverhältnismäßig großer Antrieb am Anfang der instrumentellen Aufzeichnungen zu erwarten ist, wenn der Aerosolantrieb aus den Wechselwirkungen zwischen Aerosolen und Wolken mit den Emissionen zunimmt, z.B. logarithmisch, wie nach physikalischem Verständnis und aus den umfassenden Modellen anzunehmen ist (siehe auch: Stevens, 2013). Anders ausgedrückt, ist eine Emissionseinheit in der reinen Atmosphäre von größerer Strahlungswirkung als eine Emissionseinheit in einer durch menschengemachte Emissionen belasteten Atmosphäre. Das bedeutet, dass in der frühen Zeit der industriellen Entwicklung der Aerosolantrieb, verglichen mit dem Antrieb durch Treibhausgase, unverhältnismäßig angestiegen ist. Aus diesem Grund argumentiert Bjorn Stevens, dass es sinnvoll ist, genau diesen Zeitraum zu betrachten, um die Effekte der Treibhausgase und die Effekte von Aerosolen voneinander trennen zu können. Dafür benötigt man jedoch ein Modell, das diese zeitliche Entwicklung des Aerosolantriebs so auflösen kann, dass auch Unsicherheiten im Modell selbst erfasst werden können. Das ist für komplexe Aerosolmodelle technisch unmöglich. Deshalb hat Bjorn Stevens für diesen Zweck ein einfaches konzeptionelles Modell entwickelt und ausgewertet.

In seinem Modell umschreibt Bjorn Stevens den Aerosolantrieb durch eine zeitabhängige Funktion, die allein von der globalen Emissionsgeschichte des Schwefeldioxids (SO2) bestimmt wird (Abb. 1). Diese Beschränkung auf SO2 ist sinnvoll, da die Emissionen von SO2 durch das Verbrennen von fossilen Brennstoffen, Biomasse und Metallverhüttung gut bekannt und ein guter Indikator für menschliche Aktivitäten sind, auch wenn der Strahlungsantrieb nicht in erster Linie auf SO2-Emissionen zurückzuführen ist. Dieser direkte Zusammenhang, seit langem ein Dreh- und Angelpunkt der Argumente für einen starken Aerosolantrieb, ermöglicht die Erforschung der Veränderung des globalen Strahlungsantriebs über die gesamte Zeitspanne. Obgleich man sich sicher vorstellen kann, dass der Aerosolantrieb nicht nur einfach von der zeitlichen Änderung der SO2-Emissionen abhängt, sollte auch nach heutigem Verständnis diese beträchtliche Vereinfachung nicht aufgegeben werden (Abb. 1). Durch das Erforschen der Modellsensitivität mit ausgewählten Parametern, und daher verschiedenen Szenarien des Aerosolantriebs, zeigt Bjorn Stevens, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass der Aerosolantrieb stärker (negativer) als -1 W/m2 ist, wenn man versucht, den Anstieg der Oberflächentemperatur der nördlichen Hemisphäre vor 1950 dem Strahlungsantrieb durch menschlichen Einfluss zuzuschreiben.

Zweitens argumentiert Bjorn Stevens, dass der zentrale Wert für den Aerosolantrieb im AR5 (-0.9 W/m2) gerade noch plausibel ist, wenn der Antrieb durch die Wechselwirkung von Aerosolen mit Strahlung und durch die Wechselwirkung der Aerosole mit Wolken durch physikalisches Verständnis und durch neuere Beobachtungen des Energiehaushalts der Erde bestimmt ist. Bjorn Stevens zeigt, dass umfassende Modelle den Strahlungsantrieb durch Aerosole eher über- als unterschätzen, indem er die Bedingungen aus Beobachtungsdaten, herrührend aus Unterschieden zwischen der Albedo der nördlichen und der südlichen Hemisphäre bei klarem Himmel über dem Ozean, nutzt (Abb. 2). Durch die Bestimmung der Größenordnung dieser Abweichung zeigt er, dass auch aus diesem Blickwinkel ein Aerosolantrieb negativer als -1.0 W/m2 sehr unwahrscheinlich ist.

Im dritten Teil seiner Untersuchung stellt Bjorn Stevens die Frage, warum die umfassenden Modelle in der Lage sind, den Trend der globalen Mitteltemperatur im 20. Jahrhundert am Boden zu simulieren (siehe auch: Marotzke und Forster, 2015), obwohl sie von einem Aerosolantrieb ausgehen, der stärker (negativer) ist als die oben postulierten Werte. Er argumentiert, dass es Hinweise darauf gibt, dass die Modelle eine zu geringe Erwärmung simulieren, wenn man Zeiträume mit relativ geringem Vulkanismus untersucht, und wenn der Aerosolantrieb im ausgewogenen Verhältnis zum Antrieb durch Treibhausgase steht. Das stimmt mit einem Aerosolantrieb aus umfassenden Klimamodellen, der zu stark (negativ) ausfällt, überein.

In Verbindung mit früheren Abschätzungen der Obergrenze grenzt Bjorn Stevens´ neue Abschätzung die Unsicherheit des Aerosolantriebs zwischen -0.3 und -1.0 W/m2 ein. Dies stellt eine nahezu dreifache Verringerung der Unsicherheit des Aerosolantriebs im Vergleich zur Angabe im AR5 dar. Diese Verringerung der Unsicherheit war lange eines der zentralen Anliegen der Klimawissenschaft.

Zusammenfassung

Bjorn Stevens argumentiert, dass ein Aerosolantrieb stärker (negativer) als -1.0 W/m2 sehr unwahrscheinlich ist. Diese untere Grenze ist viel weniger negativ als vorher abgeschätzt, und stimmt sowohl mit Abschätzungen aus dem physikalischen Verständnis über Aerosole als auch mit Erkenntnissen aus Beobachtungen des Energiehaushalts der Erde und den historischen Temperaturaufzeichnungen überein. Die Begründung für einen schwächeren (weniger negativen) Aerosolantrieb stimmt zudem mit den Trends der umfassenden Klimamodelle überein, die die Erwärmung in der Zeit zwischen 1920 und 1950 unterschätzen. Insgesamt zeigt er mit drei unterschiedlichen Überlegungen, dass der Aerosolantrieb weniger negativ als -1.0 W/m2 ist. Bei Annahme einer Obergrenze für den Aerosolantrieb bei -0.3 W/m2, basierend auf einer Analyse des Energiehaushalt der Erde seit 1950, scheint also der Strahlungsantrieb vom menschengemachten Aerosol sehr wahrscheinlich zwischen -0.3 W/m2 und -1.0 W/m2 zu liegen.

Nachtrag

Diese Studie hat Resonanz in einigen Medien gefunden. In einigen Medien wurde berichtet, dass die Studie feststelle, dass die globale Erwärmung keine schwerwiegende Gefahr für die Gesellschaft darstelle. Der Autor warnt davor, solche Rückschlüsse aus seiner Studie zu ziehen, erstens, weil viele seiner vorgestellten Ideen neu sind und unabhängig evaluiert werden müssen und zweitens, weil über die Beziehung zwischen Klimasensitivität und Aerosolantrieb weiterhin wenig bekannt ist. Wenn sich die vorgestellten Ideen als korrekt erweisen, ist jedoch gewiss, dass sich der Mensch nicht vor reiner Luft fürchten muss und die extremsten Empfindlichkeiten der globalen Temperatur gegenüber dem Strahlungsantrieb weniger wahrscheinlich auftreten werden.

Originalveröffentlichungen

Stevens, B. (2015). Rethinking the lower bound on aerosol radiative forcing. Journal of Climate, Early Online Release.
doi:10.1175/JCLI-D-14-00656.1

Stevens, B. (2013). Aerosols: Uncertain then, irrelevant now. Nature, 503, 47 - 48. doi:10.1038/503047a

Marotzke, J. and Forster, P. M. (2015). Forcing, feedback and internal variability in global temperature trends. Nature, 517, 565 - 570. doi:10.1038/nature14117

Glossar

Link zum Glossar des vierten Sachstandsberichtes des IPCC, WG I, für Begriffserklärungen wie z.B. "Strahlungsantrieb" und "Strahlungsbilanz".

Link to the glossary of terms used in the IPCC Fourth Assessment Report, WG I, for term definitions like "radiative forcing" and "energy balance".

Kontakt

Prof. Dr. Bjorn Stevens
Max-Planck-Institut für Meteorologie
Tel.: 040 41173 422 (Assistentin Angela Gruber)
E-Mail: bjorn.stevens@we dont want spammpimet.mpg.de