Klimavorhersagen im Kilometermaßstab dank einer neuen Generation von Modellen

Was wäre, wenn in Zukunft die Klimaforschung die geeigneten Instrumente bereitstellte, um die Auswirkungen des Klimawandels vorherzusagen und damit zu helfen, die Folgen abzumildern? Solch eine Zukunft rückt in greifbare Nähe – dank der Entwicklung einer Reihe von fortschrittlichen Klimamodellen. Das Max-Planck-Institut für Meteorologie steht mit an der Spitze dieser Bemühungen. Es koordiniert und beteiligt sich an mehreren nationalen und internationalen Projekten, die den Weg für eine neue Qualität der Klimavorhersage ebnen.

Die globalen Temperaturen liegen bereits mehr als ein Grad über dem vorindustriellen Niveau, und es wird erwartet, dass dieser Anstieg in Zukunft weitergeht. Dieser grundsätzliche Trend und sein Zusammenhang mit menschlichen Aktivitäten sind eindeutig, die regionalen und lokalen Auswirkungen auf Gesellschaften und Ökosysteme aber unsicher. Erwartet wird, dass zerstörerische Wetterereignisse wie extreme Niederschläge, lang anhaltende Dürreperioden und Hitzewellen häufiger werden. Dennoch ist es nach wie vor schwierig zu prognostizieren, wie wahrscheinlich und wie ausgeprägt diese Ereignisse auf lokaler Ebene sein werden.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden Veränderungen im Erdsystem beobachtet, die herkömmliche Modellierungsansätze nicht erklären können. Die relevanten Prozesse werden demnach offenbar mangelhaft erfasst. Eine neue Generation von Modellen bezieht die Physik auf kleineren räumlichen Skalen ein, die bei den traditionellen Ansätzen unberücksichtigt bleiben. Das könnte den Unterschied machen und helfen, den bereits festgestellten und wahrscheinlich noch wachsenden Katalog von Veränderungen zu verstehen. Dem globalen Klima einen Teil seiner lokalen Bedeutung zurückgeben und seine Auswirkungen für regionalen Entscheidungsträger*innen nachvollziehbar machen: Das ist das neue Paradigma von hochauflösenden Modellen, die sich dem global lokalen Charakter des Klimawandels nähern. Was diese Projekte gemeinsam haben, ist die Vision einer Zukunft, in der einerseits fundierte Entscheidungen und proaktive Maßnahmen die Auswirkungen eines sich rasch verändernden Klimas abmildern können und anderseits bessere Informationen für Maßnahmen liefern – sowohl global als auch lokal. In einer solchen Zukunft würde die Klimaforschung:

  1. lokale Detailauflösung der Klimainformationen auf globaler Ebene liefern, was eine fundierte Entscheidungsfindung und nachhaltige Entwicklung ermöglicht;
  2. neue physikalische Erkenntnisse hervorbringen, mit deren Hilfe sich bislang unverstandene Veränderungen infolge der globalen Klimaerwärmung erklären lassen;
  3. Simulationen durchführen, die so hoch aufgelöst wie Beobachtungen sind, wodurch sich die Investitionen in die beobachtende Forschung doppelt lohnen;
  4. die Theorie durch eine explizite Darstellung von Prozessen, die derzeit nicht simuliert werden, beleben.

Das Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M) wirkt derzeit an mehreren Projekten mit, die auf hochauflösende Klimaprojektionen hinarbeiten:

nextGEMS

Das von der Europäischen Union (EU) im Rahmen von Horizon 2020 finanzierte Projekt nextGEMS (Next Generation Earth System Models) entwickelt sturmauflösende Erdsystemmodelle. Ziel ist es, die Modelle ICON (Icosahedral Non-hydrostatic) und IFS (Integrated Forecast System) mit einer horizontalen Gitterauflösung von bis zu 2,5 km zu betreiben – eine dramatische Verbesserung gegenüber den bisherigen Modellen, die in der Regel eine Auflösung von 100-150 km verwenden. Indem es diese beispiellose Auflösung bei stabilen Klimaläufen erreicht, wird nextGEMS genauere und realistischere Darstellungen des Klimasystems in den nächsten 30 Jahren auf globaler und regionaler Ebene liefern – und damit einen klareren Blick auf Phänomene wie atmosphärische Stürme, Ozeanwirbel und Eisdynamik. Während des Hamburger Hackathons Ende März 2024 gelangen die ersten hochauflösenden 30-Jahres-Klimaprojektionen mit einer räumlichen Auflösung von weniger als 10 Kilometern.

WarmWorld

Entscheidungsträger*innen auf der ganzen Welt sind bei der Umsetzung regionaler Klimapolitik mit einem Problem konfrontiert: die Unsicherheit von Klimaauswirkungen auf kleinen räumlichen Skalen. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt WarmWorld stellt sich den vielfältigen Herausforderungen eines sich erwärmenden Planeten: Es treibt die hochauflösenden Möglichkeiten unseres Erdsystemmodells ICON weiter voran und leistet damit einen wichtigen Beitrag zu den laufenden Entwicklungen. WarmWorld soll die Laufzeiteffizienz von ICON erhöhen, ein feinmaschigeres Modellgitter konstruieren und insgesamt eine nahtlosere Erfahrung für die Endnutzer*innen schaffen. Vier Teilprojekte versuchen, ICON besser, schneller, einfacher und intelligenter (Better, Faster, Easier, Smarter) zu machen. Sie befassen sich mit einer realistischeren Annäherung an physikalische Prozesse, entwickeln ein flexibleres und modularisiertes Softwarepaket, entwerfen effektive Arbeitsabläufe zur optimalen Nutzung informationsreicher Klimadaten, wobei sie die angewandte Mathematik und die Informatik in den Aufbau effizienter Arbeitsabläufe einbeziehen, und verbessern die Modelllaufleistung.

DestinE

Eine digitale Version der Erde, die Antworten auf unsere Fragen zur Zukunft des Planeten gibt: Die Entwicklung eines solchen digitalen Zwillings (digital twin, DT) ist das Ziel der EU-Initiative Destination Earth (DestinE). Geleitet vom Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF) und in Zusammenarbeit mit der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und der Europäischen Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten (EUMETSAT), führt DestinE die jahrzehntelangen Fortschritte bei der Wettervorhersage, der Erdbeobachtung, des Hochleistungsrechnens und der Klimaforschung zusammen. Das Projekt konzentriert sich auf zwei primäre digitale Zwillinge: der digitale Zwilling für wetterbedingte Extremereignisse, um die Katastrophenvorsorge und -reaktion zu verbessern, und der digitale Zwilling für die Anpassung an den Klimawandel, der detaillierte Prognosen für politische Entscheidungsträger bereitstellt. Das Ziel: Diese digitalen Zwillinge sollen bis 2030 verfügbar sein.

Eine zentrale Komponente von DestinE ist die Digital Twin Engine, die die Recheninfrastruktur bereitstellt, die es braucht, um diese fortschrittlichen Modelle auszuführen. Dieses System integriert Hochleistungsrechner und ausgefeilte Modellierungstechniken, um sicherzustellen, dass die Simulationen genau und skalierbar sind und große Datenmengen verarbeiten können.

EERIE

Einen besonderen Schwerpunkt auf den Ozean legen die EERIE-Modelle (European Eddie-rich Earth-System Models). Sie sollen die Dynamik bestimmter turbulenter Strömungsmuster – der Ozeanwirbel – erfassen. Diese kleinräumigen Strömungen beeinflussen globale und insbesondere regionale Klimamuster erheblich. Eine bessere räumlichen Auflösung dieser Modelle wird Klimavorhersagen genauer machen und unser Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Ozean und Atmosphäre auf bis zu hundertjährigen Zeitskalen vertiefen.

SCALEXA

Das Ziel der BMBF-Ausschreibung für SCALEXA-Projekte ist, „Neue Methoden und Technologien für das Exascale-Höchstleistungrechnen“ zu beschleunigen. Der gesamte Bereich des Hochleistungsrechnens, der künstlichen Intelligenz und der Datenanalyse erfordert eine verbesserte Skalierbarkeit von Computercode und von Arbeitsabläufen. Dies gilt auch für die Erdsystemmodellierung. Innerhalb von SCALEXA trägt das MPI-M zum Projekt IFCES2 („Intra-model Functional Concurrency towards efficient Exascale Earth System prediction”) und zum Projekt ExaOcean ("Improving the performance of the ICON-O ocean model on heterogeneous exascale supercomputers with machine learning methods") bei, die mit Komponenten des ICON-Modells arbeiten. Die Projekte entwickeln neue Methoden, um Simulationsalgorithmen auf heterogenen und modularen Exascale-Systemen, also den aktuell leistungsfähigsten Supercomputern, in optimaler Weise parallel auszuführen, und um "klassische" Algorithmen der numerischen Mathematik mit maschinellem Lernen zu verknüpfen. Die Entwicklungen von IFCES2 werden anhand von Anwendungsfällen aus der Wolkenmikrophysik und der Biogeochemie des Ozeans validiert, und ExaOcean soll ICON-Ocean für Exscale-Systeme bereit machen.

Unterschiedliche Ansätze, ein gemeinsames Ziel

Zwar hat jedes Projekt seinen eigenen Schwerpunkt und seine eigene Methodik – die Maßnahmen bilden aber gemeinsam ein umfassendes Vorhaben zur Förderung der Klimaforschung. nextGEMS, als eines der ersten Projekte in diesem Zusammenhang, dient als Machbarkeitsnachweis. WarmWorld baut auf den in nextGEMS erstellten Prototypen auf, indem es die Codestruktur und die Möglichkeiten des ICON-Modells systematisch weiterentwickelt. SCALEXA-IFCES2 soll Methoden entwickeln, damit sich der Code dieser fortgeschrittenen Modelle auf neuen Exascale-Systemen ausführen lässt. EERIE ergänzt die Fortschritte von nextGEMS durch eine verbesserte Genauigkeit bei der Simulation von Ozeanwirbeln auf längeren Zeitskalen. Und das Ziel von DestinE ist es, diese Klimasimulationen zu operationalisieren.

Die Verbindungen zwischen den verschiedenen Projekten sind nicht nur konzeptioneller, sondern auch ganz praktisch Natur: So dienen die nextGEMS-Hackathons als gutes Testfeld für die Entwicklungen in WarmWorld, EERIE und SCALEXA. Denn dort testen die Wissenschaftler*innen wesentliche Funktionen, die entscheidend für die Datenverwaltung und -analyse sowie für die Benutzerfreundlichkeit sind.

Das Ziel der gemeinsamen Bemühungen: Prozesse so darzustellen, dass sie der Art, wie Prozesse beobachtet werden, ähneln. Dadurch bekommen Beobachtungen eine neue Bedeutung, welche die enormen Investitionen in die operative Wissenschaft (z. B. den Satelliten EarthCARE) aufwerten. Die Darstellung des Klimasystems wird physikalischer, was auch die Theorie belebt: Anstatt von der Theorie zu verlangen, das zu erklären, was die Modelle derzeit auslassen, ist die Theorie nun gefordert, die Auswirkungen zu erklären, die die Modelle zeigen.

Als willkommener Bonus des gemeinsamen übergreifenden Ziels, die nächste Generation von Klimainformationssystemen zu entwickeln, gelingt es diesen Projekten auch, Brücken zwischen den verschiedenen Forschungsdisziplinen zu schlagen und stärkere Verbindungen zwischen Atmosphärenforschung, Ozeanographie, Informatik, Ingenieurwesen, Mathematik, Sozialwissenschaften und der Wissenschaftskommunikation zu schaffen. Durch den Einsatz innovativer Methoden und die Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit ebnen diese Projekte den Weg zu einem tieferen Verständnis des Erdsystems für eine bessere und aussagekräftigere Klimavorhersage, für Folgenabschätzungen und Anpassungsstrategien.
 

Weitere Informationen

Ansprechpartner*innen am MPI-M

nextGEMS und WarmWorld
Dr. Heike Konow
Dr. Elina Plesca
nextgems_office@mpimet.mpg.de
warmworld_office@mpimet.mpg.de

ICON / DestinE
Dr. Daniel Klocke
daniel.klocke@mpimet.mpg.de

EERIE
Prof. Dr. Jin-Song von Storch
jin-song.von.storch@mpimet.mpg.de

SCALEXA-IFCES2
Dr. Fatemeh Chegini
fatemeh.chegini@mpimet.mpg.de

SCALEXA-ExaOcean
Dr. Peter Korn
peter.korn@mpimet.mpg.de