FESSTVaL: Großangelegte Messkampagne zur Erfassung kleinräumiger Wetterphänomene

Wie durch ein Vergrößerungsglas wird FESSTVaL in die innere Struktur kleinräumiger Wetterphänomene blicken, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf sommerlichen Gewitterregen liegt. Die Feldkampagne findet von Mitte Mai bis August rund um das Meteorologische Observatorium Lindenberg - Richard-Aßmann-Observatorium des Deutschen Wetterdienstes (DWD), im Landkreis Oder-Spree bei Berlin, statt und wird circa 250 zusätzliche Instrumente für die Beobachtung der Atmosphäre und der Landoberfläche einsetzen.

Die FESSTVaL-Wissenschaftler*innen wollen kleinräumige Wetterphänomene verstehen, die wir alle sehr gut kennen, besonders im Sommer: Das Wetter ist warm und schön, und plötzlich zieht ein Gewitter auf. Die Lufttemperatur kühlt stark ab, der Wind weht in starken Böen, es folgen heftige Niederschläge, aber nach wenigen Minuten ist das Spektakel vorbei. Oft ist nur ein kleines Gebiet betroffen, aber lokal können schwere Schäden entstehen. Ebenso wichtig ist, wie die Wechselwirkung dieser Systeme mit der Landoberfläche ihre weitere Entwicklung beeinflusst. Das herkömmliche bodengebundene Messnetz mit Messstationen im Abstand von 25 km ist nicht gut geeignet, die Struktur und Entwicklung solcher räumlich begrenzten Wetterphänomene zu erfassen. FESSTVaL will durch den Aufbau eines dichten Messnetzes, das es in den Sommermonaten 2021 im Landkreis Oder-Spree in Brandenburg betreiben wird, neue Daten über den Lebenszyklus dieser kleinräumigen Phänomene liefern.

FESSTVaL steht für Field Experiment on Submesoscale Spatio-Temporal Variability in Lindenberg. Konzipiert wurde die Kampagne vom Hans-Ertel-Zentrum für Wetterforschung (HErZ). In einem Radius von 15 km um den DWD-Standort Lindenberg wird FESSTVaL die Atmosphäre und die Landoberfläche mit Hilfe eines dichten Netzes bodengebundener Messungen, ergänzt durch umfangreichere vertikale Profilinstrumente an drei Hauptstandorten („Supersites"), genau beobachten. Die Messungen werden dazu beitragen, (i) die Darstellung kleinräumiger atmosphärischer Prozesse in numerischen Wettervorhersagemodellen zu verbessern, (ii) neue Messstrategien zu testen, z.B. zur Erfassung von Windböen oder zur räumlich adäquaten Überwachung eines Gebietes, und (iii) Hypothesen über die Haupteinflussfaktoren bei der Entwicklung starker konvektiver (Sommer-)Stürme zu testen. Die FESSTVaL-Wissenschaftler*innen interessieren sich besonders für die sogenannten „Cold pools“, die während solcher Stürme in Oberflächennähe entstehen, die damit verbundenen Windböen und die Entwicklung der atmosphärischen Grenzschicht, der oberflächennahen Schicht, vor und nach solchen Phänomenen.

An der Kampagne sind Wissenschaftler*innen des DWD, des Max-Planck-Instituts für Meteorologie (MPI-M) in Hamburg, des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (MPI-B) in Berlin sowie der sechs Universitäten Berlin (FU), Bonn, Frankfurt/Main, Hamburg, TU Harburg und Köln beteiligt. Während der Kernphase der Kampagne im Juni 2021 werden weitere Partner wie die Universität Tübingen, das KIT - Karlsruher Institut für Technologie, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die Universität Wageningen in den Niederlanden mit eigenen Instrumenten an der Kampagne teilnehmen.

Die Wissenschaftler*innen des MPI-M und der Universität Hamburg, unter der Leitung von Dr. Cathy Hohenegger (MPI-M) und Prof. Felix Ament (Universität Hamburg), interessieren sich insbesondere für "Cold Pools". Cold Pools sind Bereiche verdunstungsgekühlter Luft, die zur Oberfläche hin absinken und sich dann unterhalb von Gewittern seitlich über ein Gebiet von einigen Kilometern bis zu einigen zehn Kilometern ausbreiten. Der Durchgang einer „Cold Pool“-Front ist mit einem raschen Abfall der Lufttemperatur, einem schnellen Anstieg des Luftdrucks und einer starken Zunahme der Windgeschwindigkeit verbunden. Da das Aufsteigen der Luft am Cold Pool-Rand oft neue Gewitter auslöst, sind Cold Pools der Schlüssel zum Verständnis der Organisation von konvektivem Niederschlag und des Lebenszyklus von Gewittern. Trotz ihrer Bedeutung gibt es nur wenige Messungen ihrer inneren Struktur.

Die Messkampagne FESSTVaL wurde entwickelt, um diese Wissenslücke zu schließen und um drei Forschungsfragen zu beantworten:

  1. Wie homogen ist die innere Struktur von Cold Pools?
  2. Werden die simulierten Eigenschaften von Cold Pools (Temperatur, Ausbreitungsgeschwindigkeit, Größe) durch hochauflösende Simulationen realistisch dargestellt?
  3. Wie werden die Eigenschaften von Cold Pools durch externe Parameter wie Niederschlagsintensität, Zustand der Landoberfläche oder Struktur der atmosphärischen Grenzschicht gesteuert und verändert?

Zur Beantwortung dieser Fragen soll während der FESSTVaL-Kampagne ein dichtes Netzwerk bodengebundener meteorologischer Messungen dienen. Das Rückgrat des Messaufbaus bilden 80 sogenannte APOLLO ("Autonomous cold POoL LOgger") Stationen, die sekündlich Temperatur und Luftdruck aufzeichnen und eigens für FESSTVaL an der Universität Hamburg entwickelt und gebaut werden. Diese sollen in einem Umkreis von ca. 15 km um das Meteorologische Observatorium Lindenberg in Abständen zwischen einigen hundert Metern und wenigen Kilometern, mit einer mittleren Entfernung von 1,8 km und einer Gesamtdistanz zwischen den Stationen von 350 km, platziert werden. Ergänzt werden soll das Netzwerk durch 19 kompakte automatische Wetterstationen, die neben Temperatur und Druck noch weitere meteorologische Variablen aufzeichnen, sowie ein hochauflösendes X-Band Niederschlagsradar. Durch eine Kooperation mit der Gruppe vom Prof. Nima Shokri an der TU Harburg werden noch im selben Gebiet 100 Bodensensoren verteilt, um den Zustand der Landoberfläche zu erfassen.

Die bodengestützte Fernerkundungstechnik des DWD und der FESSTVaL-Partner, zu der insbesondere zwölf Lidare zur Messung des Windes bis zu einigen Kilometern Höhe in der Atmosphäre und sieben Systeme zur Messung vertikaler Profile von Temperatur und Feuchte gehören werden, der Einsatz eines ferngesteuerten unbemannten Messflugzeugs und von Drohnen während der Kernphase der Kampagne sowie zusätzliche Wetterballone erweitern das Messnetz in vertikaler Richtung. Auch der Mehrwert eines Bürgermessnetzes (citizen science) wird untersucht. Ungefähr 50 selbstgebaute Messgeräte mit dem Namen MESSI ("Mein Eigenes SubSkalen-Instrument") werden an die in der Region lebenden Bürger*innen ausgegeben. Ergänzt werden die meteorologischen Messungen durch hochauflösende Modellsimulationen mit dem Wettervorhersagemodell ICON für die Region um Lindenberg.

Die Messkampagne sollte ursprünglich bereits im gleichen Zeitraum im Jahr 2020 stattfinden. Aufgrund der Corona-Pandemie konnten die Messungen nicht wie geplant stattfinden. Daher wurde der Cold Pool-Teil der Messkampagne kurzerhand nach Hamburg verlegt, sodass 2020 in der Stadt ergänzende und vorbereitende Messungen mit Hilfe von Bürger*innen für die Wartung des Messnetzes durchgeführt werden konnten. Diese Messungen konnten zeigen, dass die entwickelten Messinstrumente und Messstrategie tatsächlich in der Lage waren, die räumliche Struktur von Cold Pools zu erfassen (Abb. 3)

Kontakt

Dr. Cathy Hohenegger

Max-Planck-Institut für Meteorologie
FESSTVaL – Sprecherin Lenkungsausschuss
Tel.: +49 (0)40 41173-302
cathy.hohenegger@we dont want spammpimet.mpg.de

Dr. Sarah Wiesner

Universität Hamburg – Meteorologisches Institut
Koordinatorin FESSTVaL
Tel.: +49 (0)40 42838-5158
sarah.wiesner@we dont want spamuni-hamburg.de