Deutsches Klima-Konsortium: Klimaschutz gehört in alle Parteiprogramme

Mit Blick auf die deutsche Bundestagswahl im Februar 2025 hat das Deutsche Klima-Konsortium Parteiführungen und Bundestagsmitglieder aufgefordert, Klimaschutz zentral in ihren Wahlprogrammen zu verankern. Der Brief im Wortlaut:

Die Gesellschaft befindet sich in einer Zeit multipler, tiefgreifender Krisen. Bewaffnete Konflikte, ein zunehmend erstarkender Populismus sowie gesellschaftliche Verteilungskämpfe prägen die politischen Debatten. Gleichzeitig schreiten der Klimawandel und das Artensterben unvermindert voran. Ein stabiles Klima und intakte Ökosysteme sind jedoch von existenzieller Bedeutung für unsere gesellschaftliche Zukunft und stellen eine große gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar. 

Das Deutsche Klima-Konsortium (DKK) ist die größte unabhängige Selbstorganisation der deutschen Klimaforschung mit 28 Forschungseinrichtungen (u.a. aus den Helmholtz-, Leibniz- und Max-Planck-Gesellschaften, sowie universitäre Zentren), in denen tausende von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erstklassige Forschung betreiben. Mit Blick auf die Bundestagswahl erarbeitet auch Ihre Partei zurzeit ein Parteiprogramm für die nächste Legislaturperiode. Aus wissenschaftlicher Sicht möchten wir Sie auf folgenden Stand der Forschung hinweisen: 

Nach neuesten Angaben der UN World Meteorological Organisation (WMO) lag die globale Durchschnittstemperatur von Januar bis September diesen Jahres bereits bei 1,54°C über dem vorindustriellen Niveau.[1] Der sechste Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) konstatiert, dass die globale Temperaturerhöhung vermutlich Anfang der 2030er Jahre auch im 20-Jahresmittel die 1,5°C-Grenze überschritten haben wird.[2] In Deutschland lag das Temperaturmittel im Herbst 2024 um 1,7 Grad über dem Wert der international gültigen Referenzperiode.[3] Alle wissenschaftliche Evidenz deutet darauf hin, dass mit jedem weiteren Zuwachs der globalen Erwärmung Wetterextreme größer werden, mit stark steigenden gesellschaftlichen Auswirkungen und Folgekosten. Das Überschreiten des 1,5-Grad-Ziels birgt zudem erhebliche Risiken für irreversible Schäden. Beispielsweise hat eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme noch einmal deutlich gemacht, dass wir in Deutschland bereits massiv an biologischer Vielfalt und wichtigen Ökosystemleistungen verloren haben.[4] 

Die aktuellen Zahlen des Global Carbon Budget Projekts zeigen, dass der weltweite Wendepunkt des Ausstoßes von CO2-Emissionen noch immer nicht erreicht ist.[5] Trotz der zu beobachtenden Fortschritte beim Klimaschutz sind die bisherigen klimapolitischen Anstrengungen nicht ausreichend, um grundlegende Klimaschutzziele zu erreichen.[6] Ein modernes Parteiprogramm sollte aus Sicht der deutschen Klimaforschung folgende wissenschaftlich basierte Punkte berücksichtigen: 

1. Explizite Anerkennung der Klimaziele. Die bestehenden Ziele des Bundes-Klimaschutzgesetzes dürfen nicht aufgeweicht werden. Die bundesdeutschen Treibhausgasemissionen sollten bis 2030 um mind. 65%, bis 2040 um mind. 88% (ggü. 1990) verringert werden und bis 2045 sollte das Ziel der Netto-Treibhausgasneutralität erreicht werden. Die Programme aller Parteien sollten sich explizit und klar zu diesen Zielen bekennen und ambitionierte Reduktionspfade für Treibhausgasemissionen aufzeigen, die eine Steigerung der Ambitionen in der nächsten Legislaturperiode glaubhaft in Aussicht stellen, damit diese Ziele tatsächlich erreicht werden können. 

2. Benennung konkreter Ziele und Maßnahmen für alle Sektoren. Die letzte Novelle des Klimaschutzgesetzes hat durch die Aufweichung der verbindlichen Zielvorgaben für einzelne Sektoren eine Schwächung der Klimapolitik in Deutschland eingeleitet. Vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels und der dringenden Notwendigkeit, die klimapolitischen Ambitionen deutlich zu erhöhen, sollten alle Parteien in ihren Programmen zentrale Maßnahmen für alle Sektoren benennen. Dies gilt in besonderem Maße für Sektoren, die bisher weniger Fortschritte erreicht haben, insbesondere der Verkehrs- und Gebäudesektor. Nur durch verbindliche und ambitionierte Ziele und Maßnahmen in allen Sektoren können die Klimaziele insgesamt verlässlich erreicht werden. 

3. Umfassende Investitionen in die Dekarbonisierung von Infrastrukturen. Der nachhaltige Umbau wird nur mit einer nahezu vollständigen Dekarbonisierung von Infrastrukturen und öffentlichen Dienstleistungen gelingen. Dies erfordert zum einen, dass klimaschädliche Subventionen von fossilen Energieträgern schrittweise auslaufen. Und zum anderen erfordert es mutige Investitionsprogramme. Die meisten Unternehmen wissen: Grüne Technologien machen ihre Produkte wettbewerbsfähig und verhindern gleichzeitig enorme wirtschaftliche Schäden, die durch einen ungebremsten Klimawandel entstehen würden. Der neue Bericht der Independent High Level Expert Group on Climate Finance berechnet, dass die vermiedenen Kosten (z.B. negative Auswirkungen auf Produktivität und Gesundheit, Schäden an Vermögenswerten, Verlust der Artenvielfalt) sowie die zusätzlichen Vorteile des Klimaschutzes (z.B. Produktivitätssteigerung, verbesserte Ökosystemleistungen, stärkere soziale Stabilität) im Jahr 2030 eine Größenordnung von ca. 15-18 Prozent des globalen BIP ausmachen können.[7] Die politische Aufgabe besteht daher darin, langfristig verlässliche Zusagen für öffentliche Mittel zu geben sowie politisch die richtigen Rahmenbedingungen und Anreize zu setzen, damit auch in erheblichem Umfang privates Kapital für den nachhaltigen Umbau mobilisiert wird. Jegliches Investitionsdefizit der nächsten Legislaturperiode wird den Druck auf die Folgejahre erhöhen und den Weg zur Treibhausgasneutralität steiler und kostspieliger machen. Zugleich werden sich umfangreiche Investitionen in die Dekarbonisierung und Modernisierung von Infrastrukturen positiv auf Wirtschaft und Arbeitsplätze auswirken. Hierfür jetzt im Wahlkampf eine klare Programmatik vorzulegen, schafft aus unserer Sicht Vertrauen in die Handlungsfähigkeit demokratischer Institutionen. 

4. Klimapolitik sozial gerecht gestalten. Die Aufwendung von Finanzmitteln, um Investitionsprogramme zu fördern, sollte nicht zulasten sozialpolitischer Ziele gehen. Bisher hatten Instrumente wie etwa die CO2-Bepreisung im Rahmen des nationalen Brennstoff-Emissionshandels (BEHG) wie schon die Ökologische Steuerreform oder die EEG-Umlage eine negative Verteilungswirkung, die vor allem niedrige und mittlere Einkommen überproportional belastet hat.[8] Wissenschaftliche Evidenz belegt, dass eine kontinuierlich steigende Bepreisung bzw. Besteuerung von Emissionen auch in der nächsten Legislaturperiode und darüber hinaus dringend geboten ist. Umfragen zeigen, dass die Akzeptanz in der Gesellschaft am größten ist, wenn die Einnahmen aus der Bepreisung in klimafreundliche Investitionen fließen und Haushalte mit geringem oder mittlerem Einkommen unterstützt werden.[9] Zudem können dadurch Carbon-Lock-In-Effekte vermieden werden, bei denen diese Haushalte langfristig von teuren fossilen Energieträgern abhängen würden. Wenn Sie mit Ihrem Parteiprogramm anhand der Verwendung der deutlich steigenden Einnahmen aus dem Brennstoff-Emissionshandel (BEHG) konkret aufzeigen, wie der nachhaltige Umbau Hand in Hand mit einer Kompensation steigender Lebenshaltungs- und Betriebskosten geht, wird dies Glaubwürdigkeit generieren und Transformationsbereitschaft erhöhen.[10] 

Eine ambitionierte und durchdacht gestaltete Klimapolitik, die soziale Aspekte berücksichtigt und Beteiligung ermöglicht, fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit die demokratischen Strukturen Deutschlands. Wirksame und zügige Schritte in Richtung Treibhausgasneutralität sind essentiell, um langfristig die gesellschaftliche und wirtschaftliche Sicherheit zu gewährleisten. 

Wir appellieren an Sie, Klimaschutz, und auch die nötige Klimaanpassung, in Ihren Wahlprogrammen angemessen zu berücksichtigen und als Querschnittsthema zu verankern. Eine ambitionierte und evidenzbasierte Klimapolitik ist nicht nur notwendig, um die Klimaziele zu erreichen, sondern auch eine Chance, die Gesellschaft zukunftsfähig zu gestalten. 

Unterzeichnet von Prof. Dr. Tilman Santarius, Prof. Dr. Angela Oels, Dr. Susanne Dröge, Prof. Dr. Thomas Hickler, Prof. Dr. Mark Lawrence, Prof. Dr. Markus Reichstein. Der Brief ist adressiert an die Parteiführungen von  CDU, SPD, Grüne, FDP, AfD und BSW sowie an die Mitglieder des Bundestags aus dem Ausschuss für Klimaschutz und Energie, dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, dem Verkehrsausschuss, dem Unterausschuss Internationale Klima- und Energiepolitik sowie aus dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung. Der Brief ist zuerst hier erschienen.

Das MPI-M ist Mitglied im Deutschen Klima-Konsortium.

Quellen

[1] WMO (2024): 2024 is on track to be hottest year on record as warming temporarily hits 1.5°C. Press Release, 11.11.2024. Der sechste Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) konstatiert, dass auch im 20-Jahresmittel die globale Temperaturerhöhung vermutlich Anfang der 2030er Jahre die 1,5°C-Grenze überschreiten wird. 

[2] Deutsches Klima-Konsortium (2024): Umgang mit dem 1,5°C-Ziel. Positionspapier. Berlin: DKK. 

[3] Deutscher Wetterdienst (2024): Deutschlandwetter im Herbst 2024. DWD, 29.11.2024. 

[4] Wirth et al. (2024): Faktencheck Artenvielfalt. Bestandsaufnahme und Perspektiven für den Erhalt der biologischen Vielfalt in Deutschland. München: oekom. 

[5] Friedlingstein, P. et al. (2024): Global Carbon Budget 2024. Earth Syst. Sci. Data Discuss. [preprint], doi.org/10.5194/essd-2024-519, in review. 

[6] siehe Abbildung 5 in IPCC (2023): Summary for Policymakers. In: Climate Change 2023: Synthesis Report. Geneva, Switzerland. 

[7] Bhattacharya A et al. (2024): Raising Ambition and Accelerating Delivery of Climate Finance. London: Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment, London School of Economics and Political Science. 

[8] Kalkuhl et al. (2021): CO2-Bepreisung: Mehr Klimaschutz mit mehr Gerechtigkeit. MCC-Arbeitspapier. Berlin: MCC. Schumacher, Katja/ Cludius, Johanna (2020): Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung der Energiearmut in Deutschland. Freiburg: Öko-Institut. 

[9] Valencia, F. M. et al. (2024): Public support for carbon pricing policies and revenue recycling options: a systematic review and meta-analysis of the survey literature. In: Nature npj climate action, https://doi.org/10.1038/s44168-024-00153-x; Holzmann, S./ Wolf, I. (2023): Klimapolitik und soziale Gerechtigkeit. Wie die deutsche Bevölkerung Zielkonflikte in der Transformation wahrnimmt. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. 

[10] siehe Chancel et al. (2023): Climate Inequality Report 2023. Paris: World Inequality Lab.