Der „Berlin Summit for EVE“: Wie wir die Klima-Informationslücke schließen können

Nie zuvor in Millionen von Jahren hat sich unser Planet so schnell erwärmt wie heute. Ein besorgniserregender Ausdruck dieses Wandels sind die jüngsten und wiederholten Wetterereignisse, die zu immer häufigeren, tragischen und teuren Naturkatastrophen geführt haben. Rekordhitzewellen, Wald- und Buschbrände, Überschwemmungen an Flüssen und Küsten, Dürren und der Anstieg des Meeresspiegels bedrohen unsere Gegenwart und Zukunft. Gemeinschaften auf der ganzen Welt erwarten rechtzeitige und genaue Leitlinien, um auf solch drohende Ereignisse reagieren zu können, weiteren Klimawandel zu begrenzen und sich an die erwarteten Veränderungen der Wetterbedingungen in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten anzupassen zu können. Alle wollen wissen, was zu erwarten ist.

Die Folgen der vom Menschen verursachten Erwärmung für die Menschheit und das Erdsystem sind jedoch noch weitgehend unbekannt. Diese Wissenslücke behindert die Anpassung an den Klimawandel und die Risikobewertung. Angesichts dieser Wissenslücke haben einige Länder damit begonnen, globale Klimaszenarien auf der Grundlage zahlreicher herkömmlicher globaler Klimamodelle zu berechnen und zu vergleichen, um auf diese Weise unzählige Simulationen zu erstellen, mit denen sich Anzeichen für Veränderungen besser erkennen lassen. Andere arbeiten an der Entwicklung einer neuen Generation von rechenintensiven Modellen, in der Erwartung, dass ihr erweiterter physikalischer Inhalt systematische Fehler ausgleichen und das globale Wetter und Klima auf lokaler Ebene besser darstellen kann. Wiederum andere, darunter eine wachsende Zahl privat finanzierter Initiativen, erforschen die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz (KI), um Fehler bestehender Modelle besser auszugleichen oder sogar rein empirisch basierte Bewertungen künftiger Gefahren vorzunehmen. Diese Bemühungen, so lobenswert sie für sich genommen auch sein mögen, sind meist rein wissenschaftlich motivierte Forschungsanstrengungen und sind auf eine große Anzahl an Forschungslaboren oder Privatunternehmen verteilt. Sie gehen mit einem hohen Maß an Redundanz einher, was zu isolierten Arbeitsabläufen und mangelnder Standardisierung führt, und, was am wichtigsten ist, dass sie wertvolle Talente vergeuden. Das Problem ist einfach zu wichtig, zu dringend und zu anspruchsvoll, als dass man es nicht gemeinsam angehen sollte.

Das Gefühl, dass wir gemeinsam besser sind, ist der grundlegende Impuls für die Entwicklung von EVE, Earth Virtualization Engines. EVE baut auf diesem Impuls auf, um den Informationsbedarf zu ermitteln, der sich aus der Notwendigkeit ergibt, unseren Planeten nachhaltig und gerecht zu bewirtschaften, sowie der Möglichkeiten, diesen Bedarf zu decken. Geladene Gäste aus der ganzen Welt kommen auf dem Berlin Summit for EVE vom 3. bis 7. Juli 2023 zusammen, um eine Vision oder einen Plan für EVE als koordinierte globale Maßnahme zu entwickeln. Ziel ist es, das Potenzial der Technologie und des menschlichen Einfallsreichtums zu nutzen, um die bereits erkannten und auch die künftigen Herausforderungen bestmöglich zu bewältigen.

Dringender Bedarf an innovativen Kooperationsstrategien, um die Herausforderungen der globalen Erwärmung zu bewältigen

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Erwärmung der Erde eine Folge menschlicher Aktivitäten ist. Während frühere Modell-Generationen und internationale Bewertungen uns geholfen haben, diese Tatsache zu verstehen, sind eine neue Modell-Klasse sowie dynamischere Mittel zur Verbreitung von Wissen dringend erforderlich, damit Vorbereitungen auf die Auswirkungen der globalen Erwärmung in die Wege geleitet werden können. Eine weitere Erwärmung und ihre sich steigernden Auswirkungen sind unvermeidlich, selbst wenn es uns gelingt, die Treibhausgasemissionen schnell und deutlich zu senken. Der Bau lebenswerter Städte, die Gewährleistung der Ernährungssicherheit, die Schaffung von Infrastrukturen für erneuerbare Energien, die Verbesserung der Luftqualität, der Schutz der biologischen Vielfalt und die Vorhersage von Extremrisiken erfordern qualitativ bessere Daten aus Modellen, die mehr Prozesse mit physikalischen Gesetzen beschreiben können und auf der kleinstmöglichen globalen Skala (km) arbeiten. Es reicht jedoch nicht aus, einfach nur Modelle auf km-Skala zu erstellen und zu betreiben. Sie müssen auf eine Art und Weise zur Verfügung gestellt werden, die den Nutzer*innen durchgängig verlässliche Informationen liefert, auf deren Grundlage sie handeln können. Außerdem müssen sie auf eine Art und Weise zur Verfügung gestellt werden, die ihren jeweiligen Stand am besten mit einer Vielzahl von wachsenden und sich verändernden Datenquellen verknüpft. Es wird viel Arbeit und neue Strategien der internationalen Zusammenarbeit erfordern, um dieses Hindernis erfolgreich zu überwinden.

Die Vision von EVE: Förderung eines Klimavorhersage- und Informationssystems für eine globale nachhaltige Entwicklung

Neue Arten von Klimaprognose- und -informationssystemen sind jetzt aufgrund tiefgreifender technologischer Fortschritte möglich. Diese Systeme werden die Fähigkeit der Gesellschaft, sich über bevorstehende Veränderungen zu informieren, erheblich verbessern. Dank verbesserter Rechenleistung ist es jetzt möglich, das Erdsystem in Größenordnungen nachzubilden, die die Zuverlässigkeit der Modelle deutlich erhöhen. Außerdem können die Quellen von Beobachtungsdaten, die von Jahr zu Jahr umfangreicher werden, besser aufgenommen und verarbeitet werden, und die physische und die menschliche Welt können miteinander verbunden werden. Gleichzeitig ermöglichen Fortschritte in der KI die Virtualisierung riesiger Datenströme, um Interaktivität zu erreichen. All diese Faktoren zusammengenommen führen zu dem Konzept der digitalen Zwillinge der Erde, der EVEs.

EVE ist als digitale Infrastruktur geplant, die die neuesten Entwicklungen in der Informationstechnologie (High-Performance Computing, HPC, und KI) nutzt, um ein globales Klimavorhersage- und Informationssystem über regionale Partner oder Knotenpunkte hinaus zu betreiben. Dieses Konzept befindet sich derzeit noch in der Entwicklungsphase. EVE soll in der Lage sein, die Nachfrage nach physikalisch stärker bestimmten Klimaprojektionen über mehrere Jahrzehnte (30-50 Jahre) auf regionaler und lokaler Ebene weltweit zu bedienen. Dies schließt auch Vorhersagen über das Risiko extremer Wetterereignisse ein. Die Projektionen sollen für alle offen und frei zugänglich sein. Solche Fähigkeiten sind weder vorhanden, noch werden sie von den derzeitigen nationalen Klimainitiativen angestrebt.

Auszug aus dem SC20 Vortrag „Climate Science in the Age of Exascale“ von Bjorn Stevens. Credit Animation: Latest Thinking

Das ins Leben rufen von EVE wird notwendig sein, um:

  1. Investitionen in die Infrastruktur anzuregen, um die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen,
  2. die Gefährdung von Leben und Eigentum zu vermeiden,
  3. Maßnahmen zur Gewährleistung der Nahrungsmittel- und Wasserversorgungssicherheit zu treffen,
  4. klimabedingte Schäden rechtlich zu beurteilen und auszugleichen,
  5. die Wahrscheinlichkeit katastrophaler Veränderungen zu bewerten und Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, um diese zu verhindern,
  6. einen gleichberechtigten Zugang zu verlässlichen Klimainformationen zu gewährleisten, insbesondere für die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen,
  7. das gesamte menschliche Potenzial zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung einzusetzen.

Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass große Fortschritte sowie Investitionen in die Klimawissenschaft und -dienstleistungen erforderlich sind, um die Gesellschaft in einer Zeit des globalen Wandels zu unterstützen. Dieser Bedarf wird allmählich durch nationale und internationale Forschungsprogramme wie Destination Earth in Angriff genommen, aber das Ausmaß der erforderlichen Anstrengungen wird nur erreicht werden, wenn wir zusammenarbeiten. Die Entwicklung und Vorlage eines Plans zur Nutzung neuer Technologien, um die Gesellschaft vor den bevorstehenden Veränderungen zu schützen und sie darauf vorzubereiten, ist das, was uns nach Berlin und dann nach Kigali und Dubai führt: Der Berlin Summit for EVE wird einen ehrgeizigen Planungszyklus einleiten, der zur COP 28 führt, der UN-Klimakonferenz, die im November 2023 in Dubai stattfinden wird. Nach dem Berlin Summit for EVE werden die Pläne für EVE auf der Open Science Conference des Weltklimaforschungsprogramms (WCRP) mit dem Thema „Advancing climate science for a sustainable future“ (Förderung der Klimawissenschaft für eine nachhaltige Zukunft), die im Oktober 2023 in Kigali, Ruanda, stattfinden wird, erörtert und verfeinert. Diese Konferenz wird den globalen Süden stärker in die Entwicklung von EVE einbeziehen, um Gemeinschaften zu unterstützen, die aufgrund ihres Mangels an Ressourcen und ihrer geografischen Lage besonders anfällig für den Klimawandel sind.

Förderung der globalen Zusammenarbeit: die Weichenstellung für EVE auf dem Berlin Summit for EVE

Im Vorfeld des Berlin Summit for EVE wurde eine Vielzahl von Vorbereitungsmaßnahmen ergriffen, um ein Whitepaper zu verfassen, das im Vorfeld der wissenschaftlichen Community zur Kommentierung zur Verfügung stand. Das Whitepaper deckt vier Aspekte von EVE ab: Klimadienste, Informationstechnologie, Beobachtungen sowie Wissenschaft und Modellierung. Bei der Konkretisierung ihrer Überlegungen stützen sich die Organisator*innen des Berlin Summit for EVE auf die Ergebnisse zahlreicher Workshops, die in jüngster Zeit unter der Schirmherrschaft des WCRP organisiert wurden, insbesondere des virtuellen Workshops über die Zukunft der Klimamodellierung im März (2022), eines Workshops über ultrahochauflösende Modellierung in Boulder (2022) und der Entwicklung des IS-ENES-Dokuments „Infrastructure Strategy for Earth-system Modelling for 2024-2033“. Sie organisierten zudem eigene Workshops, um Antworten und Anregungen zu bestimmten Fragen zu erhalten, insbesondere den Lorentz Center Workshop on Digital Twin Earth in Leiden, Niederlande (13.-16. Februar 2023), den Yamanakako Workshop on global storm resolving models in Yamanaka, Japan (12.-13. Mai 2023), den Global Earth Observations Workshop in Hyytiälä, Finnland (8.-10. Mai 2023), sowie Treffen, die vom Institute for Atmospheric Physics, Chinese Academy of Sciences in Beijing organisiert wurden. Die Vision der Organisator*innen wird weiterhin durch das Entstehen einer neuen Generation von Modellierungsfähigkeiten beeinflusst, wie Projekte in Japan zeigen und nationale Projekte wie WarmWorld (DE) und EXCLAIM (CH), das Horizon2020-Projekt nextGEMS sowie Modellierungsinitiativen in mehreren US-Behörden.

Expert*innen und Interessenvertreter*innen werden auf dem Berlin Summit for EVE zusammenkommen, um den Entwurf des Whitepapers zu diskutieren und zu verbessern, das von den Organisator*innen von EVE erstellt wurde. Vor der Veranstaltung wurde dieses Dokument der wissenschaftlichen Community zur Stellungnahme zur Verfügung gestellt, um weitere Kreise einzubeziehen und mehr Beiträge zu ermöglichen. Durch die Bündelung des Fachwissens von Expert*innen und Interessenvertreter*innen aus der ganzen Welt soll auf dem Treffen ein Konzept erstellt werden, das die Entwicklung und Umsetzung von EVE leiten wird. Der Entwurf des Konzepts, das aus dem Treffen hervorgeht, wird ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Verwirklichung der Ziele von EVE sein.

Während der ersten beiden Tage der Veranstaltung werden namhafte Redner aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen in Grundsatzreden die Dringlichkeit der internationalen Zusammenarbeit darlegen, um das Wissen über das Erdsystem im Anthropozän voranzubringen und zu verbreiten und damit die Grundlage für eine nachhaltige Bewirtschaftung des Planeten im globalen Maßstab zu schaffen. Das vorläufige EVE-Dokument wird im Laufe der folgenden drei Tage von Arbeitsgruppen in den Entwurf eines Konzepts für Kigali umgewandelt. Die unterschiedlichen Erkenntnisse und Perspektiven, die während des Treffens ausgetauscht werden, werden die Zukunft von EVE prägen und zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung des Planeten weltweit beitragen.

Die Beiträge der Teilnehmer*innen und das Feedback zum vorläufigen Entwurf werden bei der Erstellung des Whitepapers, das das Ergebnis des Treffens sein wird, berücksichtigt. Nach Erhalt weiterer Stellungnahmen wird der Entwurf zu einem Gesamtkonzept verfeinert, das auf der COP 28 in Dubai vorgestellt werden soll. Es wird erstmals auf der Open-Science-Konferenz des Weltklimaforschungsprogramms (WCRP) in Kigali im Oktober 2023 vorgestellt werden.

Der Berlin Summit for EVE schafft die Voraussetzungen für eine internationale Zusammenarbeit im Bereich der Earth Virtualization Engines und läutet eine neue Ära wissenschaftlicher Innovation und Klimaresilienz ein. Verfolgen Sie , wie sich die Ergebnisse des Berlin Summits for EVE und der Fortschritt der Earth Virtualization Engines voll entfalten und uns einer widerstandsfähigeren und nachhaltigeren Zukunft für künftige Generationen näher bringen.

Der Berlin Summit for EVE wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung durch die Förderung des deutschen Projekts WarmWorld unterstützt. Das von der ETH Zürich geleitete Projekt EXCLAIM, der Hamburger Exzellenzcluster CLICCS, das Horizon2020-Projekt nextGEMS, das Institut für Atmosphärenphysik der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und die Max-Planck-Institute für Chemie und für Meteorologie leisteten weitere Unterstützung. 

Zur Entwicklung und Verfeinerung des EVE-Konzepts haben unter anderem die Weltorganisation für Meteorologie (WMO), das Weltklimaforschungsprogramm (WCRP), das Weltwetterforschungsprogramm (WWRP) und die GEWEX-GASS-Projekte beigetragen.

Text von Dr. Chao Li

Weitere Informationen

Berlin Summit website

Kontakt

Dörte de Graaf
Referentin für PR und Kommunikation
Max-Planck-Institut für Meteorologie
doerte.degraaf@we dont want spammpimet.mpg.de

Prof. Bjorn Stevens
Geschäftsführender Direktor
Max-Planck-Institut für Meteorologie
bjorn.stevens@we dont want spammpimet.mpg.de

Dr. Chao Li
Wissenschaftler
Max-Planck-Institut für Meteorologie
chao.li@we dont want spammpimet.mpg.de

Prof. Jochem Marotzke
Direktor und Leiter der Abteilung Klimavariabilität
Max-Planck-Institut für Meteorologie
jochem.marotzke@we dont want spammpimet.mpg.de