Das Rätsel um die Ausbreitung der Wälder nach dem Höhepunkt der letzten Eiszeit
Die Autor*innen der Studie – Anne Dallmeyer, Thomas Kleinen, Martin Claußen (Max-Planck-Institut für Meteorologie und CEN, Universität Hamburg), Forschende des Alfred-Wegener-Instituts, der Universität Potsdam, der Universität Heidelberg, der Universität Tübingen und der Chinese Academy of Sciences – haben gezeigt, dass das vom Klimamodell MPI-ESM1.2 simulierte Klima mit pollenunabhängigen Klimarekonstruktionen für die letzten 22.000 Jahre übereinstimmt. Mögliche Fehler im simulierten Klima sind also nicht der Hauptgrund für die Diskrepanz zwischen Modell und Daten. Die Zuordnung der einzelnen Pflanzengattungen zu den verschiedenen Makro-Ökosystemen ist nicht einfach. Sie beruht in gewissem Maße auf subjektiven und individuellen Entscheidungen, was zu Unsicherheiten in den Rekonstruktionen führen kann. Der Hauptgrund dürfte jedoch die Tatsache sein, dass im Modell die Vegetation dem Klima innerhalb von Jahrzehnten folgt und sich somit auf der hier betrachteten Zeitskala von Jahrtausenden quasi im Gleichgewicht mit dem Klima befindet. In der realen Welt muss der Wald von einer Region in andere Regionen „wandern”. Diese Waldmigration involviert wiederum langsame ökologische Prozesse wie z. B. die Entwicklung von Böden auf nackten Felsen, die während des Rückganges der Eismassen nach dem Höhepunkt der letzten Eiszeit freigelegt wurden. Dadurch kann die Ausbreitung von manchen Baumarten sehr verzögert werden. Solche Prozesse sind in Erdsystemmodellen bisher nicht dargestellt. Sowohl die rasche Anpassung der Vegetation an ein sich änderndes Klima im Modell als auch die langsamen Migrationsprozesse einzelner Baumarten deuten darauf hin, dass die hier entdeckte Diskrepanz zwischen Modell und Daten tatsächlich auf ein Ungleichgewicht von mehreren tausend Jahren zwischen Walddynamik und einem sich ändernden Klima hinweist. Diese Unterschiede sind, den Modellrechnungen nach zu urteilen, in Asien besonders ausgeprägt.
Die Diskrepanz zwischen Modell und Daten hat zweierlei Konsequenzen. Pollenaufzeichnungen sind nach wie vor das am weitesten verbreitete terrestrische Archiv für Klima- und Vegetationsrekonstruktionen. Sie werden häufig verwendet, um die Güte von Erdsystemmodellen für einzelne Momentaufnahmen in der Klimageschichte zu bewerten. Wenn also die Vegetation dem sich ändernden Klima tatsächlich um einige tausend Jahre hinterherläuft, dann muss die Verwendung von pollenbasierten Rekonstruktionen zur Evaluierung von Modellen kritisch überdacht werden. Zweitens deuten die Ergebnisse von Dallmeyer et al. darauf hin, dass die Wälder auf der Nordhemisphäre möglicherweise viel langsamer auf die aktuelle anthropogene Klimaänderung reagieren, als Erdsystemmodelle vorhersagen. Das wäre eine bedeutende Quelle von Unsicherheit für Vorhersagen darüber, wie sich der Klimawandel auf Änderungen der Wälder und der Biodiversität auswirkt.
Diese Studie entstand im Rahmen des vom BMBF geförderten Projektes PalMod und des Exzellenzcluster CLICCS.
Originalveröffentlichung:
Dallmeyer, A., Kleinen, T., Claussen, M., Weitzel, N., Cao, X. & Herzschuh, U. (2022). The deglacial forest conundrum. Nature Communications, 13: 6035. doi:10.1038/s41467-022-33646-6
Kontakt:
Dr. Anne Dallmeyer
Max-Planck-Institut für Meteorologie
anne.dallmeyer@ mpimet.mpg.de
Prof. Dr. Martin Claußen
Max-Planck-Institut für Meteorologie
martin.claussen@ mpimet.mpg.de
Dr. Thomas Kleinen
Max-Planck-Institut für Meteorologie
thomas.kleinen@ mpimet.mpg.de