Selbstständig forschen, das Institut gestalten
Als Teil des Erfolgsrezepts der Max-Planck-Gesellschaft gilt die persönlichkeitszentrierte Forschungsorganisation: Brillante Köpfe wählen ihre Themen frei und unabhängig und scharen exzellente Mitarbeitende um sich, um ihre Ideen und Vorhaben zum Erfolg zu führen. Neben den Direktor*innen genießen auch die Inhaber*innen sogenannter W2-Stellen umfangreiche wissenschaftliche Selbstständigkeit. Manche dieser Positionen ergänzen oder verstärken ein von einer*m Direktor*in initiiertes, bereits bestehendes Forschungsprogramm. Andere Stellen – beispielsweise die, die im Rahmen des Lise-Meitner-Exzellenzprogramms vergeben werden – sind gänzlich unabhängig und eröffnen die Möglichkeit, neue Forschungsfelder zu erschließen und das wissenschaftliche Profil eines Instituts zu erweitern. W2-Stellen werden durch den Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) auf Basis einer Begutachtung an herausragende Wissenschaftler*innen mit einer Habilitation oder einer gleichwertigen Qualifikation vergeben. Die Bezeichnung „W2“ leitet sich aus dem Beschäftigungsverhältnis ab, das dem von Beamt*innen derselben Personalkategorie entspricht.
Am MPI-M gibt es in den drei Abteilungen „Klimadynamik“, „Klimaphysik“ und „Klimavariabilität“, die der Direktorin Sarah Kang beziehungsweise den Direktoren Bjorn Stevens und Jochem Marotzke zugeordnet sind, unter den Gruppenleiter*innen jeweils eine Person mit einer W2-Stelle: Victor Brovkin, Cathy Hohenegger und Jin-Song von Storch. Die vierte W2-Stelle des Instituts hat Franziska Glassmeier, Leiterin einer unabhängigen Lise-Meitner-Forschungsgruppe, inne.
Neben ihren eigenen Forschungsprogrammen bringen sich die W2-Gruppenleiter*innen in die interne Institutspolitik ein. Sie sind eingeladen, an den Sektionssitzungen innerhalb der MPG teilzunehmen, und wirken in erweiterten Direktoriumsrunden mit, wo zentrale strategische Entscheidungen für das MPI-M getroffen werden.
Victor Brovkin: Wechselwirkung Klima-Biosphäre
Victor Brovkin kam im Jahr 2008 zum MPI-M. Zunächst arbeitete er in der Abteilung „Das Land im Erdsystem“ des damaligen Direktors Martin Claußen, mit dem er zuvor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zusammengearbeitet hatte. „Uns verband ein Interesse für die Modellierung der Biosphäre“, erzählt Brovkin. Seine Forschung setzte einen Schwerpunkt auf den Kohlenstoffkreislauf, zunächst von Feuchtgebieten, später von Permafrost.
Nach der Emeritierung Claußens wurde Brovkins Gruppe im Jahr 2023 Teil der Abteilung „Klimadynamik“ von Sarah Kang und dadurch inhaltlich noch eigenständiger. „Natürlich versuche ich zu den Forschungszielen der Abteilung beizutragen, aber grundsätzlich habe ich das Glück, meine Themen frei wählen zu können.“ Er versuche immer, neue große Themen zu antizipieren und sich ihnen frühzeitig zuzuwenden. Dadurch sei seine Arbeit auch nach 17 Jahren am Institut noch sehr abwechslungsreich. Aktuell befasst sich der Mathematiker mit Kippelementen im Erdsystem sowie mit dem Potential datengetriebener Forschung („data-driven science“), welche große Datensätze zur Entwicklung von Hypothesen nutzt. „Unsere Modelle können oft die nichtlineare Dynamik, die wir beobachten, nicht reproduzieren – und ich versuche zu verstehen, warum das so ist.“ Mithilfe dieses datengetriebenen Ansatzes möchte Brovkin Modelle für abrupte Änderungen entwickeln, etwa in tauenden Permafrost-Landschaften, sogenanntem Thermokarst.
Franziska Glassmeier: Multiskalige Wolkenphysik
Große Datensätze spielen auch in der Forschung von Franziska Glassmeier, seit Juni 2025 Leiterin der Lise-Meitner-Forschungsgruppe „Multiskalige Wolkenphysik“, eine Rolle. Sie nutzt Daten von Satelliten und von räumlich hoch aufgelösten Modellen, um die emergenten Eigenschaften von Wolken zu erforschen. So möchte sie ein Defizit von aktuellen Klimamodellen beheben, welche auf der Annahme beruhen, dass sich die einzelne Wolke und die großräumige Zirkulation, deren Teil sie ist, trennen lassen. Im Fokus ihrer Forschung steht die Selbstorganisation der Wolken auf der Mesoskala, also der räumlichen Skala von wenigen Kilometern bis zu hunderten Kilometern.
„Das MPI-M ist weltweit einer der besten Orte für konzeptionelle Forschung“, so Glassmeier. „Hier kann ich mit der größtmöglichen Freiheit den Fragen nachgehen, die ich erforschen möchte.“ Als Teil des Lise-Meitner-Exzellenzprogramms der MPG arbeitet Glassmeiers Gruppe unabhängig von den drei Abteilungen des Instituts. Es ergeben sich aber natürlicherweise Anknüpfungspunkte – etwa an die Arbeit der Abteilung „Klimaphysik“, die unter anderem Wolkenbeobachtungen durchführt und Klimamodelle mit einer Auflösung von wenigen Kilometern entwickelt. „Ich denke, dass wir uns gegenseitig unterstützen und inspirieren werden, und hoffe meine wissenschaftliche Perspektive in die Diskussionen einzubringen.“
Cathy Hohenegger: Climate-surface interaction
Cathy Hohenegger, W2-Gruppenleiterin in der Abteilung „Klimaphysik“, befasst sich mit der Konvektion und dem Niederschlag in der Erdatmosphäre sowie mit der Frage, wie die Land- und Ozeanoberflächen diese Prozesse beeinflussen. „Gewitter entstehen lokal – deshalb habe ich mich zu Beginn auf regionale Phänomene konzentriert“, erzählt Hohenegger, die seit 15 Jahren am MPI-M forscht. Seit einiger Zeit treibt sie am Institut die umfassende Modellierung des Erdsystems auf der Kilometerskala voran. „Damit können wir solche regionalen Prozesse in einen globalen Kontext stellen – und das fördert teils völlig neue Erkenntnisse zutage.“
So zeigten Hohenegger und ihre Doktorandin Arim Yoon kürzlich, dass der durchschnittliche Niederschlag im Amazonasgebiet selbst bei völliger Abholzung des Regenwaldes nicht wesentlich abnehmen würde. Denn die großräumige atmosphärische Zirkulation trägt zusätzliche Feuchtigkeit in die Gegend, was den durch Abholzung bedingten Verlust der vom Regenwald produzierten Feuchtigkeit kompensiert. Dies ist eine Erkenntnis, die klassische Modelle nicht liefern konnten, und gibt eine Idee von den bedeutenden Fortschritten in der Klimaforschung durch globale Modelle, die kilometerskalige Prozesse auflösen. Bei deren Weiterentwicklung spielt Hohenegger am MPI-M eine tragende Rolle. Ihre Ideen für das Institut in verschiedenen Gremien einzubringen, ist ihr wichtig: „Ich möchte gute Leute hierherholen und helfen, ein florierendes Forschungsumfeld zu gestalten. Deswegen liefere ich gerne strategische Impulse.“
Jin-Song von Storch: Energetik des Klimas
Jin-Song von Storch ist seit 21 Jahren Gruppenleiterin und stellvertretende Direktorin der Abteilung „Der Ozean im Erdsystem“, heute „Klimavariabilität“. Als sie im Jahr 2004 ihre Stelle antrat, verfolgte sie zunächst – aufbauend auf den Pionierarbeiten Klaus Hasselmanns – die Rolle des Zufalls im Klimasystem. Bis dahin war der Zufall vor allem im Zusammenhang mit der Atmosphäre betrachtet worden. „Im Ozean dachte man lange eher sehr deterministisch“, erzählt von Storch. Doch so wie das Wetter zur Atmosphäre gehört, gehört die kleinräumige Turbulenz zum Ozean – und dieses „Ozeanwetter“ interessierte sie.
Fortschritte bei der hochauflösenden Klimamodellierung in den vergangenen Jahren lieferten von Storch ein neues Werkzeug, um Wellen und Wirbel zu studieren – vor allem hinsichtlich der Frage, wie dadurch Energie im Klimasystem verteilt wird. Aktuell ist die Meteorologin im Projekt „European Eddy-rich Earth System Models“ (EERIE) involviert, welches die hochauflösende Modellierung des Ozeans vorantreibt. „Vielleicht sind meine Interessen eher Nischen“, sagt von Storch. „Aber das ist ja das Tolle an Grundlagenforschung: Es bedeutet, dass man nicht immer mit dem Mainstream gehen muss.“
Jin-Song von Storch in Breaking the Surface, Sonderausstellung des Internationalen Maritimen Museums Hamburg.
Kontakt
Prof. Dr. Victor Brovkin
Max-Planck-Institut für Meteorologie
victor.brovkin@mpimet.mpg.de
Dr. Franziska Glassmeier
Max-Planck-Institut für Meteorologie
franziska.glassmeier@mpimet.mpg.de
Dr. Cathy Hohenegger
Max-Planck-Institut für Meteorologie
cathy.hohenegger@mpimet.mpg.de
Prof. Dr. Jin-Song von Storch
Max-Planck-Institut für Meteorologie
jin-song.von.storch@mpimet.mpg.de