Künstliche Intelligenz für das Erdsystem

Eine neue Studie in Nature von Jenaer und Hamburger Wissenschaftlern unter der Leitung von Prof. Markus Reichstein, Geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie (MPI-BGC) und Koautor Prof. Bjorn Stevens, Direktor und Leiter der Abteilung „Atmosphäre im Erdsystem“ am Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M) zeigt, dass Künstliche Intelligenz (KI)unter anderem auch helfen kann, das Klima und das Erdsystem besser zu verstehen. Die Wissenschaftler zeigen, dass insbesondere tiefgehende Lernverfahren (Deep- Learning) ihr Potenzial zum Verständnis des Erdsystems bislang nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft haben. Vor allem komplexe dynamische Prozesse wie z.B. Hurrikane, Ausbreitung von Feuer und Vegetationsdynamik lassen sich mit Hilfe von KI besser beschreiben. Im Ergebnis sollen damit Klima- und Erdsystemmodelle optimiert werden, wobei insbesondere neuartige hybride Modelle, die KI mit physikalischer Modellierung verbinden, eine wichtige Rolle spielen werden. Die Wissenschaftler sind überzeugt, dass die Erkennung und Frühwarnung von Extremereignissen sowie die saisonale und langfristige Vorhersage und Prognose von Wetter und Klima stark von den Deep-Learning- und Hybrid-Modellierungsansätzen profitieren werden.

„Wir haben keinen Mangel an georäumlichen Daten, aber wir hinken etwas mit den Analysen und Schlussfolgerungen hinterher“, erklärt Prof. Markus Reichstein. Extremereignisse, wie die kalifornischen Feuerwalzen in diesem Herbst oder zerstörerische Hurrikans sind vielschichtige Prozesse, die nicht nur durch lokale Gegebenheiten beeinflusst werden, sondern in einem weltumspannenden zeitlichen und räumlichen Zusammenhang stehen. Dies gilt ebenso für atmosphärische und ozeanische Transportprozesse sowie Boden- und Vegetationsdynamiken, also die klassischen Themengebiete der Erdsystemwissenschaften.

Künstliche Intelligenz als Werkzeug für bessere Klima- und Erdsystemmodelle

Deep-Learning-Ansätze sind kompliziert. Datengetriebene und statistische Herangehensweisen sind nicht zwangsweise physikalisch stimmig, hängen stark von der Datenqualität ab und können Schwierigkeiten bei der Extrapolation machen. Zusätzlich sind die Anforderungen an die Rechenleistung und Speicherkapazitäten enorm hoch. All diese Anforderungen und Fallstricke werden von den Autoren in ihrem Artikel diskutiert. Sie entwickeln eine Strategie, um maschinelles Lernen mit physikalischer Modellierung gewinnbringend zu verknüpfen.

Mit diesen Hybrid-Modellen können beispielsweise Temperaturen der Meeresoberfläche simuliert werden. Dabei übernehmen physikalische Modelle die Darstellung der Temperaturen, während die Ozeanströmungen mit Hilfe von maschinellem Lernen untersucht werden. „Die Idee dabei ist, das Beste aus beiden zu vereinen: die Stimmigkeit der physikalischen Modelle und die Vielseitigkeit des maschinellen Lernens,“ erläutert Reichstein. „So bekommen wir stark verbesserte Modelle.“

Am MPI-M ist maschinelles Lernen ein nützliches Hilfsmittel für Wissenschaftler in den Abteilungen „Ozean im Erdsystem“ und „Atmosphäre im Erdsystem“. Dr. Peter Landschützer (Abteilung Ozean): „Maschinelles Lernen hat sich als wirksames Werkzeug bei der Rekonstruktion der jährlichen Kohlenstoffaufnahme durch den Ozean erwiesen. Direkte Messungen sind meistens durch Schiffsrouten begrenzt, wodurch in großen Teilen des Ozeans, insbesondere auf der Südhemisphäre, meist nur spärliche und ungleichmäßig Messungen erfolgen, oder auch gar keine Beobachtungen verfügbar sind. In Kombination mit Proxy-Daten, wie der Meeresoberflächentemperatur und Chlorophyllkonzentration durch Satelliten, kann durch Ansätze mit maschinellem Lernen eine Verbindung zwischen den verfügbaren CO2-Beobachtungen an der Ozeanoberfläche und den Proxy-Daten hergestellt werden, die dann dafür genutzt werden kann, die Datenlücken zu füllen.“

Doktorand Hauke Schulz, der mit Prof. Stevens zusammenarbeitet, arbeitet führend in der Abteilung Atmosphäre daran, maschinelles Lernen für die Erkennung von Wolkenstrukturen zu nutzen. „Maschinelles Lernen öffnet neue Türen in der Klimawissenschaft“, sagt er, und hebt hervor, der in seiner Forschung „von Algorithmen profitiert, die dafür entwickelt wurden, Objekte in Bildern zu identifizieren, wie bei der Gesichtserkennung oder für selbstfahrende Autos, und diese stattdessen anwendet, um Wolkenstrukturen in Satellitenbildern zu erkennen. Wie bei der automatischen Gesichtserkennung auf Bildern in den sozialen Medien, gebe ich oder eher der Computer den Wolkenfeldern einen Namen. Kombiniert mit zusätzlichen Daten können wir die Mechanismen untersuchen, die zu verschiedenen Wolkenmustern führen, die uns wiederum helfen können ihre Verteilung im zukünftigen Klima vorherzusagen. Ohne maschinelles Lernen ist nur schwer vorstellbar, wie wir unsere selbstgestellten Fragen beantworten könnten.“

Originalveröffentlichung:

Reichstein M., Camps-Valls G., Stevens B., Jung M., Denzler J. Cavalhais N., Prabhat (2019) Deep learning and process understanding for data-driven Earth system science. Nature 566, 195-204. doi: 10.1038/s41586-019-0912-1

Kontakt

Prof. Dr. Markus Reichstein
Max-Planck-Institut für Biogeochemie
Tel: 03641 57 6200
E-Mail: mreichstein@we dont want spambgc-jena.mpg.de

Prof. Dr. Bjorn Stevens
Max-Planck-Institut für Meteorologie
Tel: 040 41173 422 (Assistentin Angela Gruber)
E-Mail: bjorn.stevens@we dont want spammpimet.mpg.de